Auf Aufregung können die meisten von uns ja derzeit gut verzichten, und außergewöhnliche Erlebnisse hatten wir in den letzten Monaten ebenfalls reichlich, insofern stellt sich natürlich die Frage nach der Zukunft der Festspiele – zumal sich die meisten wohl eher den Alltag als den Smoking zurückwünschen.
Auch die Opferbereitschaft dürfte auch deutlich nachgelassen haben, kosten Festspiele doch nicht nur Geld und Zeit, sondern auch Nerven, wie jeder weiß, der schon mal die Karten vergessen hat, keinen Parkplatz bekam oder im Abendkleid durch einen Gewitterregen eilen musste. Und in Zeiten, wo Impfausweise wertvoller geworden sind als Halbedelsteine, macht auch das ganz große Outfit nicht mehr viel her. Wetten, Sie werden als erstes gefragt, ob sie schon beide Spritzen hatten, und danach, wie sie es vertragen haben? Das ist ungefähr so taktvoll, als ob sich jemand bei der Begrüßung erkundigt, ob Ihre Implantate immer noch halten und wie die letzten Cholesterin-Werte waren.
Neue Normalität eben, und da werden sich wohl auch die Festivals irgendwie einpassen müssen. Wer Karten hat, muss zum Beispiel konsequent die Luft anhalten, bei Wagner-Opern notfalls vier Stunden, denn hörbares Atmen gilt schon als verdächtig, Räuspern als lebensgefährlich und wer einen Hustenbonbon auspackt, riskiert, dass das Theater umgehend bis zum Ende des Jahres abgeriegelt wird.
So jedenfalls waren die Blicke der Zuschauer bei den ersten Vorstellungen nach dem Lockdown zu deuten. Es war geradezu totenstill, und wer Beifall klatschen wollte, erkundigte sich erstmal nach den aktuellen Inzidenzzahlen, damit es nicht pietätlos wirkte. Weil Seuchen aller Art bekanntlich die Umgangsformen auflösen und die Sitten zersetzen, machte sich auch kaum jemand die Mühe, unsympathischen Bekannten zu schmeicheln, mit sympathischen zu scherzen und an den übrigen Gästen Interesse zu heucheln. Die meisten starrten reglos in die Aerosole und versuchten, am Geräusch der Lüftungsanlage zu erkennen, ob die Viren heute wohl alle rechtzeitig in den Himmel kommen. Pausen gab es ja nicht und wenn, dann wurde dort nicht bewirtet. Es musste also niemand befürchten, nach seiner Meinung zum Regiekonzept befragt zu werden oder sich sonst wie zum Stück zu äußern. Allenfalls wollte im Foyer jemand wissen, wo die Desinfektionsmittel-Spender stehen. Kein Wunder, dass selbst die gute Laune schon nach wenigen Minuten komisch zu riechen begann.
Mal sehen, ob das bei den Festspielen so ganz anders sein wird. Die Nebenplätze werden ja unbesetzt bleiben, da ist Platz für mitgebrachtes Knabbergebäck und ein gutes Buch, falls Anna Netrebko sich verspätet oder Jonas Kaufmann abgesagt hat. Und wer mit der Zeit geht, lässt seinen Schmuck im Homeoffice und schaltet ihn bei Bedarf per Handy zu. Nur kosmetische Operationen haben Präsenzpflicht. Ist halt dieses Jahr ein ziemlich straffer Zeitplan!
Sendung: "Allegro" am 25. Juni 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK