Bis zum Schluss blieb es spannend bei den Salzburger Festspielen: Singt sie, oder singt sie nicht? Die Generalprobe zu Puccinis "Tosca" musste Anna Netrebko krankheitsbedingt absagen. Doch bei der Premiere am Samstag war sie wieder fit. Die Diva unserer Zeit in der Divenrolle der Opernliteratur! Und das in einem Kleid mit 50.000 Kristallen. Mehr Bling-Bling geht kaum.
Es ist ihre Szene. Anna Netrebko liegt auf Scarpias Schreibtisch und setzt schwebend die ersten Töne in den Raum. Stimmlich passt ihr die Tosca wie angegossen. Glutvoll, erotisch kann sie im Brustregister in den tiefen Lagen orgeln. Mühelosesetzt sie sich auf die Orchesterwogen. Die „Acuti“, die ausgestellten Spitzentöne, schmettert sie prunk- und lustvoll. Und eben diese Piani. Die kaum fassbaren, luziden Töne, die sich geisterhaft im Saal ausbreiten und immer aufs Neuen verblüffen. Und doch, bei aller sängerischen Vollendung, will der Funke nicht überspringen. In ihrer Erscheinung ist Netrebko die Diva in jedem Zoll. Aber die lodernde Eifersucht, die Leidenschaft, die ausweglose Zwangslage, die Tosca bis zum Mord führt – all das wird nicht spürbar. Zu kokett, zu cool, zu undurchdacht agiert sie. Als wollte sie die Rolle im Vorbeigehen abliefern.
Eine echte Regie hätte der Vorstellung gutgetan. Michael Sturmingers Inszenierung war schon bei der Premiere 2018 schwach. Die Bühne ist mit opulenten Szenenbildern gefüllt. Aber die Figuren sind zu schwammig, ja beliebig gezeichnet. So wirkt der Thriller – und nichts Anderes ist "Tosca" – ziemlich fad. Leider hat Marco Armilliato mit den Wiener Philharmonikern dazu auch nichts beizusteuern. Dickflüssig suhlt er sich im Puccini-Brei, deckt die Sänger gnadenlos zu. Keine Zwischentöne, keine Farbspiele. Auch hier hätte mehr Probenzeit gutgetan. Ludovic Tezier, der formvollendete Stilist, kann als Scarpia so nur einen Teil seines wunderbaren Könnens ausspielen. In Sturmingers Lesart ist der Polizeichef eher ein Capo von Klein-Ganoven, ein weißhaariger Stubentiger, der auf dem Trimmrad sportelt und sich von ältlichen Sekretärinnen ankleiden lässt. Gefahr, Bedrohlichkeit, Gier – Fehlanzeige. Dass er am Schluss wieder aufsteht, durch Toscas Messerstich lediglich verletzt, und dann die Diva persönlich erschießt, ist ein gezwungener Einfall, der in seiner Belanglosigkeit armselig daherkommt.
Yusif Eyvazov wirkt ein wenig verloren auf der riesigen Bühne des Festspielhauses. Neben Netrebko verblasst er, sein blechernes Timbre und die enge Stimmführung lassen viele Wünsche offen – trotz stattlicher Spitzentöne. Auch er hat über den Cavaradossi nichts zu erzählen. Vieles in dieser Galavorstellung schmeckt nach Generalprobe. Und vielleicht steigern sich die Beteiligten ja. Es wäre ihnen zu wünschen. Denn stimmlich gehört die Netrebko schon jetzt zu den ikonischen Sängerinnen der Tosca.
Sendung: "Allegro" am 23. August 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK