Eine Oper wie ein Orkan: Laut und stürmisch geht's zu in "Lear", Aribert Reimanns in München uraufgeführter Shakespeare-Vertonung aus dem Jahr 1978. Regisseur Christoph Marthaler, Spezialist für Langsamkeit, nahm sich das rasante Werk vor. Ein Wagnis, das weitgehend glückte.
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Nein, das passte nun ganz und gar nicht zusammen und war insofern wirklich eine "Herausforderung", wie der Regisseur Christoph Marthaler im Programmheft selbst freimütig einräumte, ein Risiko, und zwar ungefähr so groß, als ob ein intellektueller Filmemacher wie Alexander Kluge mit einer Neuverfilmung vom "Planet der Affen" betraut würde oder als ob Wim Wenders mit Arnold Schwarzenegger zusammenarbeiten müsste, kurz und gut: In der Bayerischen Staatsoper prallten diesmal sehr unterschiedliche Kunst-Auffassungen aufeinander.
Die Inszenierung in Bildern
Marthaler ist berühmt und berüchtigt für seine sehr langsamen, sehr statischen, sehr traurigen und sehr schwermütigen Regie-Arbeiten, über die sich grundsätzlich ein gewollter Grauschleier legt. Er feiert gern die Tristesse des Lebens und misstraut der Hektik und den ausladenden Gesten der Darsteller ebenso wie Windmaschinen. In Aribert Reimanns zweiteiliger Oper "Lear" wird aber nun gerade besonders viel Wind gemacht, ein Sturm entfacht, im Grunde ist das Werk ein einziger Orkan – lautstark, rasant, Gute wie Böse gleichermaßen erbarmungslos niederwalzend. Ging das also gut, dieses Aufeinandertreffen von bedächtiger Regie und wüstem Klanggewitter?
Besser als erwartet, und die glücklichen Kartenbesitzer jubelten denn auch nach drei Stunden überraschend einhellig. Tatsächlich hatten Marthaler und seine übliche Ausstatterin Anna Viebrock ein paar überzeugende, auch witzige Ideen. Sie verlegten das Drama vom König Lear, der sein Reich aus fehlender Menschenkenntnis auf zwei böse Töchter verteilt und die einzige gute verstößt, in den Oberlichtsaal eines Museums. Alle Mitwirkenden stehen anfangs in Vitrinen, wie Ausstellungsobjekte in einem Monstrositäten-Kabinett. Nicht ganz neu, dieser Einfall, aber immer wieder plausibel.
Kostümbildnerin Dorothee Curio arbeitete viel mit Signalfarben – bekanntlich warnen gefährliche Insekten ihre Jäger mit grellem Outfit, und so staksten Goneril und Regan auch mit Stiefeln in giftgrün und schockrosa über die Bühne, der gehässige Bastard Edmund sah im schreiend gelben Rollkragenpulli so unheilvoll aus wie eine beißwütige Hornisse, während die gute Cordelia mit Lady-Di-Frisur und Perlenkette als Opferlamm ausstaffiert war. Insgesamt hätte eine etwas zupackendere Regiehandschrift der Premiere gut getan, aber so lenkte Marthaler die Aufmerksamkeit auf die in der Tat eindrucksvolle Sängerriege.
Der finnische Dirigent Jukka-Pekka Saraste arbeitete unter erschwerten Bedingungen: Pandemiebedingt wurden Blechbläser, Schlagwerker und Chor aus einem Probengebäude live zugespielt, sonst wäre es im Graben und auf der Bühne zu eng geworden. Und die Partitur ist sowieso schon enorm schwer unter Kontrolle zu halten, da sie dem Dirigenten viele rhythmische Freiräume lässt. Trotzdem wurde es musikalisch ein rundum überzeugender Abend und damit ein wunderbarer, wenn auch anstrengender Start in die hoffentlich wieder anlaufende Live-Saison.
Sendung: "Allegro" am 25. Mai 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK