Schwärze auf der Bühne. "Pierrot Lunaire" kommt mit wenig Licht aus. Beim Melodram-Abend an der Komischen Oper Berlin war alles geboten: gespenstisches Grauen gepaart mit virtuoser Stimmkunst.
Es beginnt mit großem Lärm. Die gut dreihundert Zuschauer sitzen sehr locker verteilt im großen Saal der Komischen Oper Berlin. Schlagartig geht das Licht aus, der Krach beginnt. Dann schält sich als kleiner Farbfleck ein roter Mund aus der Schwärze. Samuel Becketts Monolog "Nicht ich" beginnt. Ein Redeschwall, eine Wortkaskade, ein überwältigendes Sprachkunstwerk, in dem eine Frau über eine andere Person spricht, nicht über sich selbst. Oder vielleicht doch?
Ist das ihre Art, mit dem erlebten Schrecken zurecht zu kommen? In diesem Spätwerk des irischen Dichters wird nichts erklärt, die Worte strömen gehetzt dahin. Wie in einer Solopartita von Johann Sebastian Bach muss die Interpretin dem Werk selbst eine Struktur geben. Mit Erinnerungsmotiven und Wortwiederholungen hat Beckett dem Werk eine Musikalität eingeschrieben, die von Dagmar Manzel virtuos umgesetzt wird. Die grellroten Lippen und die strahlendweißen Zähne reflektieren das Licht in den Saal, nicht jeder Halbsatz kann und soll verstanden werden, aber das Grauen des Erlebten stürzt auf den Zuschauer ein.
Darauf mit "Rockaby" ein weiteres Spätwerk Becketts, in dem eine alte Frau im Schaukelstuhl auf den Tod wartet, um doch in den Pausen der Erzählung immer nach "mehr" zu rufen. Schließlich stirbt sie, dämmert weg in die Dunkelheit.
Die Antwort des Hauses auf die Pandemie wird erst Jacques Offenbachs "Großherzogin von Gerolstein" Ende Oktober sein, inszeniert von Kosky selbst. Diese Premiere mit Beckett und Schönberg ist vor allem ein Abend für Dagmar Manzel, die schon als junge Frau davon träumte, Schönbergs Melodram einmal spielen zu dürfen. Diese Liebe zum Werk merkt man ihre Interpretation an. Sie verfällt nicht in den Fehler vieler Opernsängerinnen, die genau notierten Töne singen zu wollen, sondern deklamiert sie, hält das Werk in der Schwebe zwischen Sprechen und Singen, wechselt die Klangfarben und Sprechhaltungen ebenso virtuos wie den Tonfall zwischen Sarkasmus, Witz, Verzweiflung und Melancholie.
Sendung: "Leporello" am 1. Oktober 2020 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK