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Kritik – So klingt die neue Isarphilharmonie Klangzauber mit Obergrenze

Die neue Isarphilharmonie ist nur eine Zwischenlösung. Aber sie soll etwas bringen, was es in München bislang nicht gab: eine erstklassige Akustik. Eingeweiht wurde die künftige Heimat der Münchner Philharmoniker mit einem Festkonzert unter Chefdirigent Valery Gergiev. Begeisterung weckte nicht nur Pianist Daniil Trifonov. Der eigentliche Star war die Akustik. Die allerdings auch ein kleines Problem hat.

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Dieser Ort ist ziemlich untypisch für München. Industrieromantik, rauer Charme. Betonboden mit Eisenbahnschienen, Backsteinwände, Balkons mit blauen Metallbalustraden. Unter dem imposanten Glasdach hängt noch der riesige, fahrbare Kran. Der hat früher die Trafos gehoben in der denkmalgeschützten Halle aus den 1920er-Jahren. Dieser Ort, der jetzt als Foyer der neuen Isarphilharmonie dient, ist nicht chic, jedenfalls nicht so, wie München sonst chic ist. Und die Isarphilharmonie direkt daneben ist genauso spartanisch mit ihren schwarzen, geriffelten Holzwänden und den mit grobem Tweed-Stoff bezogenen Sitzen. Es riecht neu. Aber nicht nach Luxus, sondern nach Leichtbauweise. Hier geht‘s nicht um Repräsentation, hier steht nur das nötigste. Und das wird der klassischen Musik, die hier gespielt wird, guttun.

ES RIECHT NACH LEICHTBAUWEISE

Das Foyer zur Isarphilharmonie in der Halle E | Bildquelle: Robert Haas Dieser Ort weckt Neugier und erzählt eine Geschichte. Die Isarphilharmonie macht Spaß. Gerade weil sie ein Provisorium ist. Dass es gefühlte Ewigkeiten dauert, bis das Publikum den Saal verlassen hat, weil sich alle durch ein Nadelöhr drängeln müssen, dass es keinen Aufzug gibt für die höheren Ränge, dass die Garderoben eng sind – all diese Macken nehmen ihr kaum etwas von ihrem Charme. An diesem Abend schon gar nicht. Alle sind ein bisschen high. Kein Wunder nach fast zwei Jahren Kultur-Durststrecke. Plötzlich keine Maskenpflicht mehr, voller Saal, toller Klang, und danach schlängelt man sich mit einem Sektglas durch eine angeregt diskutierende Menschenmasse: Das fühlt sich noch etwas surreal an, fast wie im früheren Leben. Nur das Bussi Bussi verkneift sich die Kulturprominenz. Es ist halt immer noch Corona.

ES WIRD DAUERN

Der Oberbürgermeister strahlt. Dieter Reiter sagt, es sei sensationell, was hier gelungen ist – der knappe Kostenrahmen eingehalten, die Bauzeit rekordverdächtig kurz. "Es ist selten im Leben eines Politikers, dass man nur Lob für etwas kriegt," sagt Reiter. "Und ich ahne, dass dieses Interim relativ lange Bestand haben wird." Das ist leider schon deswegen notwendig, weil es wegen des komplizierten Vergabeverfahrens noch dauert, bis mit der Renovierung des jetzt leerstehenden alten Gasteigs überhaupt begonnen werden kann.

HOCHAUFLÖSEND UND SATT

Der hatte klanglich seine Tücken, was nicht der einzige, aber ein wichtiger Grund für den Umbau ist. Die Isarphilharmonie ist um mehrere Klassen besser – akustisch eine völlig andere Liga. Was im alten Gasteig pauschal verpufft, erreicht in der Isarphilharmonie hochauflösend das Ohr. Das gilt vor allem für die Bässe. Die mussten sich im Gasteig mächtig ins Zeug legen, um durchzudringen. In der Isarphilharmonie sind sie mühelos präsent. Das macht den Klang trotz seiner Durchsichtigkeit warm. Damit hat Starakustiker Yasuhisa Toyota sein doppeltes Ziel erreicht: "Zwei Dinge sind wichtig für einen guten Saal," sagt der Akustik-Designer im Gespräch mit BR-Klassik: "Der Klang muss reich sein. Und durchsichtig. Diese zwei Dinge widersprechen sich manchmal. Aber wir brauchen beide."

TRAUMHAFTES PIANISSIMO

Der vollbesetzte Saal der Isarphilharmonie | Bildquelle: Robert Haas In München ist der Klang tatsächlich sehr transparent, vor allem verglichen mit dem alten Gasteig – aber trotzdem nicht so hyperanalytisch wie in der Hamburger Elbphilharmonie, deren umstrittene Akustik ebenfalls von Toyota gestaltet wurde. In Hamburg hört man, wenn Maurice Ravel die Kontrabässe aufteilt, von jedem einzelnen, ob er Tremolo spielt oder Legato. In München ist der Klang deutlich kompakter. Aber auch hier transportiert sich ein phantastisches Pianissimo. Endlich können die Philharmoniker wirklich bis an die Schwelle zur Stille gehen – und es trägt. Die Sologeige des Konzertmeisters wirkt zum Greifen nah in Reihe 19. Und wenn kaum hörbar die Wellen murmeln in Ravels klangmagischer Orchestersuite aus "Daphnis et Chloé", kitzelt‘s im Ohr. Das ist wirklich phantastisch.

ZUVIEL DRUCK IM KESSEL

Schwieriger wird es im Fortissimo. Bei voller Lautstärke ist schnell ziemlich viel Druck im Kessel. Am Schluss der Uraufführung eines eigens zu diesem Anlass geschriebenen Orchesterwerks des französischen Komponisten Thierry Escaich wirkt der Klang fast ein wenig übersteuert, als wäre der Raum zu klein für die Lautstärke. Hemmungslose Emotion im Fortissimo ist in der Isarphilharmonie also keine gute Idee. Dieser Saal hat eine Obergrenze. Gute Dirigenten werden bei der Lautstärke die Handbremse nie ganz lösen. Das ist ein bisschen schade, aber mit entsprechender Vorsicht beherrschbar. Kleinere Besetzungen dagegen werden hier vermutlich großartig funktionieren.

DER RAUM ERZIEHT DAS ORCHESTER

Und die Münchner Philharmoniker werden sich in diesem Raum ganz sicher enorm entwickeln. Das ist eine wunderbare Perspektive. Zum einen, weil sie schnell begreifen werden, was hier anders ist: Die Kontrabässe werden weniger geben als bislang gewohnt. Die Holzbläser können präsenter werden, das Blech muss sich eher zurückhalten. Und alle miteinander werden sich viel besser hören. Was die Chance bietet, nach der Corona-Vereinzelung klanglich völlig neu zu verschmelzen.

TRIFONOVS PHÄNOMENALE KLANGPHANTASIE

Feiern die Eröffnung: Komponist Thierry Escaich, Dirigent Valery Gergiev und Pianist Daniil Trifonov | Bildquelle: Robert Haas Valery Gergiev hat intensiv mit dem Orchester geprobt, unterschiedliche Aufstellungen und Podeste ausprobiert, um herauszufinden, wie die Isarphilharmonie am besten zu bespielen ist. Dem unter Hochspannung stehenden Daniil Trifonov ist das auf Anhieb gelungen. Für einen Flügel bietet der Saal beste Bedingungen. Beethovens Viertes Klavierkonzert spielt Trifonov mit unglaublicher Intensität. Manuell kennt dieser Pianist kaum Grenzen. Und seine phänomenale Klangphantasie kann sich in diesem optisch so spartanischen Raum mit allen Zwischentönen entfalten. Hier steht nur das Nötigste. Am allernötigsten ist eine gute Akustik. Das ist in München wahrer Luxus.

Sendung: "Piazza" am 9. Oktober 2021 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK