Die Kleinstadt Hülsdorf-Gotha wird von einem englischen Sir aufgemischt. Er entlarvt die Fremdenfeindlichkeit und Kleinkariertheit der Einwohner und macht einen Affen zum Lord. Das Publikum feiert Hans Werner Henzes Opern-Satire, die Regie von Brigitte Fassbaender überzeugt. Am 23. Mai feierte das Werk Premiere am Gärtnerplatztheater.
Your browser doesn’t support HTML5 audio
Krähwinkel steht Kopf: Da kommt ein echter englischer Sir in die kleine Residenzstadt, und was macht er? Jedenfalls nicht das, was alle erwarten. Statt mit den Honoratioren zu plaudern, Bälle zu besuchen und Damen zu beglücken, schaut er sich eine Zirkustruppe an und verschanzt sich ansonsten in seiner geheimnisvollen Villa, die vollgestellt ist mit exotischen Mitbringseln wie ausgestopften Papageien und juwelenbesetzten Totenköpfen. Da prallen sie also aufeinander, die kleine und die große Welt, der weit gereiste Gentleman und die sehr beschränkten Spießbürger.
Komponist Hans Werner Henze rechnete 1965 gründlich ab mit Deutschland, das er früh Richtung Italien verlassen hatte, nicht zuletzt wegen seiner Homosexualität. Zu miefig, zu freudlos, zu kleinkariert war ihm seine Heimat – die er dennoch liebte. Aber gibt es dieses betuliche Bildungsbürgertum der frühen sechziger Jahre noch, das hier auf die Hörner genommen wird? Die steifen, bräsigen Stadtväter, die mit Klassikerzitaten um sich werfen, die klavierklimpernden und ignoranten Damen, die sich zum Tee verabreden und dabei ihre Töchter verscherbeln? Natürlich nicht, da reicht ein Blick auf ein beliebiges Foto vom damaligen Opernpublikum. Insofern ist der "Der Junge Lord" sehr veraltet, diese komische Oper nach einem Märchen von Wilhelm Hauff. Ein Affe spielt den titelgebenden vornehmen englischen Lord und entlarvt dadurch die so fremdenfeindliche wie hochnäsige Kleinbürgergesellschaft.
Weitere Bilder der Inszenierung finden Sie hier.
Brigitte Fassbaender versteht es blendend, nicht nur die Solisten schauspielerisch zu fordern, sondern auch im Chor zahllose, stumme Miniaturszenen ablaufen zu lassen. Hier ist jeder in der großen Besetzung ständig beschäftigt, sogar die Kinder. Keiner steht nur herum, alle haben ihre Streitigkeiten, Liebschaften, langweilen und bekriegen sich, steigen einander nach oder gehen sich aus dem Weg.
Dirigent Anthony Bramall fand den richtigen, jazzigen Zugang zu dieser anspielungs- und zitatenreichen Partitur, wo die Mandoline für mediterrane Lebensfreude steht, die Blasmusik für deutsche Gemütlichkeit, die orientalischen Rhythmen für die Sehnsucht des Kleinbürgers nach Exotik. Henze verstand sich auf ätzende Effekte und liebliche Gemeinheiten, und hier wurden sie wunderbar bösartig vorgetragen, teils nach dem jungen Schostakowitsch klingend, teils wie Kurt Weill oder Prokofjew. Unter den zahlreichen Solisten überzeugten Maximilian Mayer als äffischer Lord mit viel Körpereinsatz im schweißtreibenden Kostüm, Ann-Katrin Naidu als divenhafte, aufgetakelte Baronin Grünwiesel, Bonita Hyman als resolute Köchin Begonia und Christoph Filler als Sekretär des stummen Sir Edgar, der das Gleichnis so stoisch inszeniert wie ein weiser Eremit. Auch Lucian Krasznec als junger, idealistischer Liebhaber Wilhelm und Mária Celeng als dessen angebetete, aber verschüchterte Luise waren ein glaubwürdig verqueres Paar. Insgesamt viel Beifall für diese kunterbunte Krähwinkelei kurz vor der Europawahl, wo es doch ums große Ganze im kleinen Einzelnen geht. Oder so ähnlich.
Komische Oper
Musik von Hans Werner Henze
Libretto von Ingeborg Bachmann
Musikalische Leitung: Anthony Bramall
Regie: Brigitte Fassbaender
Premiere: 23. Mai 2019
Weitere Termine und die vollständige Besetzung finden Sie auf der Homepage des Gärtnerplatztheaters
Sendung: Allegro am 24. Mai 2019 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK.