In seiner Neuinszenierung der "Bohème" für das Salzburger Landestheater setzte Regisseur Andreas Gergen auf eine Abbildung der zeitgenössischen Selfie-Kultur. Unterstützt von Video-Installationen, bestimmten trendige Kostüme und coole Posen das Bild - bunt, aber ein wenig zu gefällig. Dafür blieb stimmlich und orchestral kein Wunsch offen.
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So sieht es also aus in der neuzeitlichen Hölle der Selbstverwirklichung: Alle tanzen mit Kopfhörer, Bierflasche und Nikotinverdampfer - jeder für sich, wahnsinnig schick, total kreativ, stylisch und absolut "in". Ein sehr treffendes Bild für die heutige, selbstverliebte "Bohème" hat Regisseur Andreas Gergen im Salzburger Haus für Mozart gefunden: Lauter coole Typen, die sich mit House-Musik volldröhnen lassen, angesagte Clubs belagern, nackte Frauen mit Farben bepinseln, zweifelhafte Poesie in ihre Notebooks hämmern und ansonsten irre narzisstisch sind. Wer die sogenannten Hotspots von Berlin, London oder New York kennt, weiß, wovon die Rede ist. Hier also lässt Gergen Puccinis tränenselige Oper "La Bohème" spielen - unter brotlosen, ziemlich unbekümmerten Künstlerexistenzen von heute, die zwar schon lange nicht mehr an das ewige Leben, dafür aber mit derselben Inbrunst an die ewige Liebe glauben.
Kostümbildnerin Regina Schill hatte für alle Solisten und Statisten einen aktuellen, zeitgemäßen Metropolenlook kreiert: Schlabberklamotten, lässige Sneaker-Schuhe, trendige Frisuren. Der Chor dagegen trug die Mode des 19. Jahrhunderts spazieren, spukte in schwarzer Spitze herum wie Untote aus Puccinis Zeit, noch ganz geprägt von strenger Erziehung, spröder Moral und langweiligen Wunschvorstellungen. Insgesamt also Bilder verwirrender Gegensätzlichkeit, was vor der Pause auch mit einigen Buh-Rufen aus dem Publikum quittiert wurde. Die dröhnende House-Musik vom DJ, die Puccini ein paar Takte lang übertönte, war konservativen Zuschauern wohl zu viel.
Wer Puccini dirigiert, der darf keine Angst vor Überwältigung haben, denn jede Note zielt darauf ab. Die litauische Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla ließ denn auch die Gefühle lodern, allerdings nicht wabern, was ein großer Unterschied ist. Ihr Puccini klang äußerst kultiviert, so dass die Sänger jederzeit mustergültig zu verstehen waren. Kein Wunder, dass Gražinytė-Tyla derzeit für alle möglichen offenen internationalen Spitzenpositionen genannt wird. Vor kurzem wurde sie Musikdirektorin in Birmingham. Mit den Solisten hatte das Salzburger Landestheater diesmal viel Glück: Sopranistin Shelley Jackson aus Baltimore überzeugte als schwindsüchtige Mimì, Luciano Ganci war ein berührender und konditionsstarker Rodolfo. Ebenso umjubelt: David Pershall als eifersüchtiger Marcello und Hailey Clark als lebenslustige Musetta. Puccini goes House-Musik, ausgerechnet in Salzburg! Ein verdienter Erfolg für das Landestheater.
Giacomo Puccini: "La Bohème"
Salzburg, Landestheater
Dienstag, 28. Februar 2017, 19.00 Uhr
Donnerstag, 02. März 2017, 19.00 Uhr
Sonntag, 05. März 2017, 17.00 Uhr
Samstag, 11. März 2017, 19.00 Uhr
Freitag, 17. März 2017, 19.00 Uhr
Sonntag, 19. März 2017, 15.00 Uhr
Mittwoch, 22. März 2017, 19.00 Uhr