Barrie Koskys Inszenierung von Richard Wagners "Meistersinger von Nürnberg" läuft seit 2017 bei den Bayreuther Festspielen. Am Montagabend hatte die Wiederaufnahme Premiere. Kann sie auch nach vier Jahren noch überzeugen?
In Bayreuth ticken die Uhren anders. Das mag schon für das fränkische Städtchen gelten, es gilt aber sicher für die aktuelle Bayreuther Inszenierung der Meistersinger von Nürnberg: die Wanduhr rast rückwärts, durch den Schwurgerichtssaal der Nürnberger Prozesse hopsen Handwerker in Mittelaltertracht und niemand geringeres als Richard Wagner selbst erhebt sich in zweifacher Ausführung zum Gesang. Und die Meistersänger? Die betreiben mit ihren Mähnen derart intensives "Headbanging", als wollten sie eigentlich zum Heavy Metal-Festival nach Wacken und nicht nach Bayreuth.
Ziemlich viel los also in dieser vom australischen Regisseur und Wahlberliner Barrie Kosky gestalteten Inszenierung aus dem Jahr 2017. Dabei gehören die Meistersinger unter Wagners Opern eher zu den handlungsärmeren Werken. Kurz gesagt: Mann und Frau wollen heiraten, Mann darf Frau aber nur heiraten, wenn er ordentlich singt. In viereinhalb Stunden geht's dann darum, was nun "ordentlich singen" eigentlich bedeutet. Und um Schuhe geht's auch, zumindest dem Text nach.
Kosky füllt das mit einer Spiegelung von Wagners Biographie und Gedankenwelt: Der erste Aufzug spielt in Wagners Haus Wahnfried (detailreiche Bühnengestaltung: Rebecca Ringst, Kostüme: Klaus Bruns). Franz Liszt ist zu Besuch, ebenso der jüdische Dirigent Hermann Levi. Sie spielen gemeinsam Theater: Nach und nach verwandeln sich die Figuren. Wagner spaltet sich in den alten Meistersinger Hans Sachs und den jungen Revoluzzer Walther von Stolzing, Hermann Levi muss den Unsympathen Sixtus Beckmesser mimen. Doch das Schauspiel hat auch eine bittere Seite. Als Beckmesser im zweiten Aufzug versucht, ein Liebeslied zu singen, wird er vom Volk verlacht, beschimpft und verprügelt. Ein Pogrom auf der Bühne.
Der ausgegrenzte Beckmesser wird so in Koskys Lesart zu einer Schlüsselfigur des Stückes. Das funktionierte bei der diesjährigen Premiere aber nur bedingt: Beckmesser-Darsteller Johannes Martin Kränzle war erkrankt und konnte nur spielen, aber nicht singen. Den Gesang übernahm vom Bühnenrand der eilig herbeigeflogene Bo Skovhus, der sich sein Bayreuth-Debüt sicher anders vorgestellt hatte. Allein das schnelle Einspringen verdient Respekt, dazu war Skovhus Leistung ohne wirkliche Vorbereitungszeit recht ordentlich. Etwas von der Wirkung der Inszenierung, die so stark auf Interaktion und Schauspielerei setzt, ging trotzdem verloren.
Die Interpretation Koskys hat dazu noch die gleichen Schwächen wie in den Jahren zuvor: Für den zweiten und dritten Aufzug scheinen dem Regisseur die Ideen ausgegangen zu sein, die Bühne des Nürnberger Schwurgerichtssaals wird zur Staffage, die sich erst gegen Ende des jeweiligen Aufzugs in interessantere Gedanken auflöst und sonst nicht weiter auffällt.
Ähnlich unauffällig bleibt auch das Festspielorchester unter Philipp Jordan, dem nur wenige wirklich mitreißende Momente, darunter das Vorspiel zum dritten Aufzug, gelingen. Das lässt sich vielleicht aber auch unter "vornehmer Zurückhaltung" verbuchen, denn was oben auf der Bühne steht, kann sich hören lassen.
Besonders die beiden Wagner-Inkarnationen Michael Volle und Klaus Florian Vogt überzeugen auf ganzer Linie: Volle singt die kräftezehrende Partie des Hans Sachs bis zum letzten Ton mit feierlich-strotzender Kraft, Vogt strahlt daneben hell als jugendlicher Stolzing. Dass der Chor coronabedingt halbiert wurde und der Gesang der anderen Hälfte nur zugespielt wird, fällt überhaupt nicht auf, was der guten Leistung der Sängerinnen und Sänger sowie ihres Leiters Eberhard Friedrich zu verdanken sein dürfte. Großen Spaß macht nicht zuletzt eine eher kleine Rolle, nämlich Daniel Behle als schelmischer Streber David. Ihm ist ein großer Teil des Witzes und der Leichtigkeit dieses Abends zu verdanken.
So schafft diese Inszenierung einerseits heitere, sogar richtig lustige Momente, sie feiert die Musik und die Kunst. Andererseits behandelt sie beklemmend den Fremdenhass, die Ausgrenzung, den Antisemitismus, nicht nur bei Wagner, sondern in der breiten Masse. Dass beides zusammen in einem Stück funktioniert, das ist die Leistung und die Aktualität von Barrie Koskys "Meistersingern".
Sendung: "Allegro" am 27. Juli 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK