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Kritik – "Götterdämmerung" in Erl Pessimistischer "Ring" von Brigitte Fassbaender

Der neue "Ring" bei den Tiroler Festspielen ist in jeder Hinsicht unaufgeregt: Für Regieexperimente ist Brigitte Fassbaender nicht bekannt, die Technik im Festspielhaus ist sehr begrenzt. So entstand eine solide, am Ende pessimistische Deutung auf Wagners vierteiliges Weltenspiel.

Bildquelle: Festspiele Erl/Xiomara Bender

Bei Wagner wird ja generell ganz gern getrunken, mal für die Liebe, mal um zu vergessen, mal für die Erlösung, mal einfach so, wie jetzt in der "Götterdämmerung" bei den Tiroler Festspielen in Erl. Da hat Regisseurin Brigitte Fassbaender, inzwischen stolze und rüstige 84 Jahre jung, eine Hausbar aufgefahren, an der sich vor allem Bösewicht Hagen immer wieder gerne bedient. Aber auch Brünnhilde verträgt einen Schluck. So demonstrativ, wie hier Zuflucht beim Alkohol gesucht wird, soll das wohl heißen, dass diese Welt nur unter Drogeneinfluss erträglich ist. Keine neue Idee, ganz sicher, aber was ist bei einer "Ring"-Inszenierung schon neu? Fassbaender: "Das hat mich sehr viele Überlegungen gekostet, die ich alle wieder verworfen habe. Es gibt nichts im Ring, was sie machen können, was nicht schon mal da gewesen ist."

Ausinterpretiert: Wagners "Ring des Nibelungen"

Bildquelle: Festspiele Erl/Xiomara Bender Das allein wäre schon ein Grund, zur Flasche zu greifen. Und es stimmt ja: Wagners Vierteiler ist auserzählt, ausinterpretiert, dazu gibt es womöglich keinen einzigen originellen Gedanken mehr. Die letzte Bayreuther Inszenierung scheiterte daran, dass sie unbedingt neue Wege gehen wollte, die dann allesamt in Sackgassen endeten, optisch wie dramaturgisch. Also nahm sich Brigitte Fassbaender einmal mehr das vor, wofür sie von ihren zahlreichen Fans gerühmt wird: Ohne Mätzchen die Geschichte zu erzählen. Das machte den zweistündigen ersten Akt etwas arg statisch und vorhersehbar, ergab insgesamt jedoch einen soliden Abend, freilich völlig ohne Überraschungen. Das ist in gewisser Weise natürlich dem Festspielhaus in Erl geschuldet, wo die technischen Möglichkeiten sehr begrenzt sind.

Begrenzte technische Möglichkeiten in Erl

Die Betonarchitektur erinnert an einen Kirchenraum, ist karg und konzentriert, wie es sich für ein Gebäude gehört, wo auch Passionsspiele stattfinden: "Mich inspiriert der Raum enorm, ich finde ihn ungeheuer suggestiv, weil nichts ablenkt und alle Aufmerksamkeit auf die Bühne zieht. Natürlich, weil das Orchester hinter den Sängern ist, hat man das alles hautnah. Das ist ja wirklich Schauspiel mit Musik. Und wenn man Wagners 'Ring' durchcheckt, das sind ja fast durchgehend Dialogszenen, die ganz intim ablaufen, und das ist hier natürlich ideal.“

Viel leerer Raum im "Ring"

Bildquelle: Festspiele Erl/Xiomara Bender So richtig intim wirken die Bilder allerdings nicht, weil sich die Personen auf der riesigen Bühnenfläche optisch verlieren. Ausstatter Kaspar Glarner hatte zwar eine Wohnlandschaft entworfen, die sterile Halle mit zwei Showtreppen und einem Billardtisch möbliert, die erwähnte Hausbar bereitgehalten, aber dazwischen klaffte enorm viel leerer Raum. Schwierig, darin Spannung aufkommen zu lassen. Von den Mitwirkenden schaffte das am besten der kanadische Bass Robert Pomakov als Hagen. Er spielte so großformatig und diabolisch, dass er um sich herum mindestens zehn Meter Luft mit seiner Machtgier ionisierte. Dagegen hatten es Vincent Wolfsteiner als Siegfried und Christiane Libor als Brünnhilde deutlich schwerer, die Aufmerksamkeit zu fesseln. Wolfsteiner ist körperlich ein XXL-Tenor geworden, was seine Beweglichkeit einschränkte. Libor hatte einen starken zweiten Akt, war ansonsten jedoch sehr gravitätisch, auch im Schlussgesang. Emotionale Flammen warf sie damit nicht.

Fassbaender: "Wir haben nichts dazugelernt"

Heikel ist überhaupt das Finale der "Götterdämmerung" und damit das Ende des gesamten "Rings". Die Götterburg geht zu Schanden, so viel ist klar, die alte Welt stürzt zusammen, aber wie sieht eine neue aus? Mancher Regisseur ließ in den letzten Jahren ein oder mehrere Kinder auftreten, wahlweise mit grünen Zweigen als Sinnbild einer besseren Zukunft. Brigitte Fassbaender ist da deutlich pessimistischer: "Bei mir geht es ein bisschen grausamer zu, weil ich unsere Zeit einfach heillos grausam finde, mit allem, was um uns herum passiert und wovor wir eigentlich alle pausenlos erschrecken und in Angst geraten müssten. Wir haben nichts dazugelernt. Ich gehe wieder an den Anfang zurück und wir müssen uns wieder durch all die Verzweiflung und das Elend hindurcharbeiten."

Musikalisch akkurater "Ring" in Erl

Bildquelle: Festspiele Erl/Xiomara Bender Und so gehen sich die Nibelungen gegenseitig an die Gurgel, Vater Alberich erdrosselt seinen Sohn Hagen und bereut nichts: Im Gegenteil, er wird immer so weitermachen mit seiner kriminellen Energie. Ob das realistisch oder doch nur fatalistisch gedacht ist, muss jeder selbst entscheiden. Musikalisch war es ein akkurat gearbeiteter Wagner-Abend: Dirigent Erik Nielsen wählte eher langsame Tempi und geriet hier und da ins Schleppen, was aber noch akzeptabel war. Schauspielerisch setzten vor allem die Schicksals-Nornen als strickendes Teekränzchen und die Rheintöchter als glatzköpfige Wasserball-Riege unterhaltsame Akzente. Nichts Neues unter der Sonne - aber gerade das ist ja das Drama!

Sendung: "Allegro" am 17. Juli 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK