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Kritik - Tschaikowskys "Iolanta" in München Lasst Rosen regnen

Wahrscheinlich wäre die Welt besser, wenn die Menschen nach innen genau so scharf sehen könnten wie nach außen, doch dafür gibt´s bekanntlich keine Brillen. In Peter Tschaikowskys selten gespielter, letzter Oper "Iolanta" geht es somit im doppelten Sinne um Blindheit.

Bildquelle: © Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper

Die titelgebende Prinzessin kann seit ihrer Geburt nicht sehen, aber weil ihr das niemand sagt, hält sie ihre Sinneswahrnehmung für völlig normal. Erst ein Ritter klärt sie darüber auf, was das eigentlich ist: Licht und Farbe. Da steckt natürlich jede Menge Psychologie drin, auch Philosophie und Religion, denn bei Tschaikowsky geht es um Gotteslob und Gotteserkenntnis, um das, was die Seele sieht, nicht das, was die Augen wahrnehmen. Und schon im "Kleinen Prinzen" heißt es ja: "Man sieht nur mit dem Herzen gut".

Magische, märchenhafte Bilder

Im "Dornröschen"-Schloss | Bildquelle: © Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper Im übertragenen Sinne gilt das ja auch für die Liebe ganz allgemein, ein Thema, dass den homosexuellen Komponisten zeit seines Lebens sehr beschäftigte – musste er sich doch verstellen, immer wieder Gefühlsblindheit vortäuschen. Der Regisseur Axel Ranisch machte aus dem vielfach interessanten, aber auch schwierigen Stoff im Münchner Cuvilliéstheater eine ungemein poetische Schule des Sehens. Ranisch versteht sich auf magische, märchenhafte Bilder, auf doppeldeutige Überblendungen, die manchmal Rätsel aufgeben, aber auch ordentlich Gedankenfutter bereitstellen. So kombinierte er Tschaikowskys 90-minütigen, lyrischen Einakter mit einer 25-minütigen Kurzoper von Igor Strawinsky, "Mavra", eine Farce über die kecke Bedienstete Parascha, die ihren verkleideten Liebhaber Wassili als Köchin ins Haus schmuggelt, um in aller Ruhe ihrer Leidenschaft nachgehen zu können.

Zauberreich voller optischer und seelischer Täuschungen

Bei Axel Ranisch werden beide Stücke nicht etwa hintereinander aufgeführt, sondern durcheinander: Strawinskys "Mavra" als Puppenspiel, mit dem sich Prinzessin Iolanta von ihren Sorgen ablenkt. Und um die Verwirrung perfekt zu machen, werden am Ende aus den Puppen Menschen, aus den Menschen Puppen, auch hier also wieder ein Perspektivwechsel und die Frage, wer mehr Seele hat, die lustigen Pappfiguren oder die steife Hofgesellschaft. Es macht Spaß, diesem kunterbunten Reigen zu folgen. Ausstatter Falko Herold hatte eine Art Dornröschen-Schloss entworfen, in dem langmähnige, ergraute Musiker vor sich hin dösen. Vom Himmel regnen Rosenblätter, Riesen-Tulpen stehen für Üppigkeit, ein Zauberreich voller optischer und seelischer Täuschungen.

Zu laut für das Cuvilliés-Theater

Der Ritter Vaudémont blendet sich aus Liebe | Bildquelle: © Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper Bei Tschaikowsky gibt´s ein Happy End, da kann die Prinzessin Iolanta nach einer Operation wieder sehen und ihren Liebhaber heiraten. Axel Ranisch ist da wesentlich skeptischer oder auch ehrlicher: Bei ihm ist es der Ritter, der sich selbst blendet, um seiner Geliebten näher, ja gleich zu sein in der Fähigkeit, nach innen zu sehen. Bei einer Produktion des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper wollen die Nachwuchssänger natürlich zeigen, was sie können. Das gelingt ihnen auch, allerdings sind sie alle durchweg viel zu laut für das intime Cuvilliés-Theater. Womöglich ist der leidenschaftlich-romantische Tschaikowsky grundsätzlich die falsche Wahl für dieses Rokoko-Juwel.

Ein kluger und herzerwärmender Abend

Die russische Dirigentin Alevtina Ioffe lässt fast die Logen vibrieren, so mächtig trumpft sie auf. Da wäre weniger mehr gewesen, zumal die Bilder so feinsinnig und schattenhaft waren. Optischer Impressionismus traf auf musikalischen Expressionismus, leise auf laut, was nicht durchgehend harmonierte. Von den zahlreichen Solisten überzeugten die estländische Sopranistin Mirjam Mesak als Iolanta und der finnische Bass Markus Suihkonen als sonorer König. Aber auch der junge chinesische Tenor Long Long als Ritter Vaudémont und der türkische Bariton Oğulcan Yılmaz als arabischer Arzt Ibn-Hakia waren mit viel Emphase bei der Sache. Ein kluger, nachdenklicher und herzerwärmender Abend mit Tschaikowsky und Strawinsky. Sehr freundlicher Beifall.

Weitere Aufführungen sind am 18., 20., 22., 25. und 28. April

Sendung: "Allegro" am 16. April 2019 ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK