Heiß ersehnt und lange vorbereitet: Die Komische Oper Berlin hat nach acht Monaten ihr Haus geöffnet und am 6. Juni die erste Premiere präsentiert. Der "Zigeunerbaron" von Johann Strauss aus dem Jahr 1885 gehört zu den populärsten Operetten überhaupt. Die Erwartungen waren riesig.
Ohne Gänsefüßchen kein "Zigeuner"baron. In Anführungszeichen setzt die Komische Oper das Z-Wort in Johann Strauss' Operette, denn die walzerselige Hitmaschine, populär seit über 130 Jahren, hat ein aktuelles Problem: ihren Titel. "Zigeuner" sind als Begriff ein Klischee, je nach Perspektive romantisch verklärt oder negativ besetzt, somit im heutigen Sprachverständnis politisch inkorrekt.
Die große Leistung des Regisseurs Tobias Kratzer: Die aktuelle Diskussion um Stereotypen macht er auf der Bühne nicht zum Problem, er belässt die Handlung in ihrer Zeit, mit Tschingderassabum-Kostümen der Soldaten, mit Säbeln und Bordüren, mit neobarockem Bühnenbild – und er ironisiert. Der k.u.k.-Offizier futtert sein Zigeunerschnitzel, die "Zigeuner"-Lieder behalten ihren Text.
Die Story um den Abenteurer Sándor, der die Schweinezüchtertochter heiraten will und sich dafür zum "Zigeuner"baron ernennt, hat Kratzer verdichtet, gekürzt. Er erzählt sie aus der Perspektive eines ewiggestrigen Grafen, der nichts Anderes will, als die gute alte Ordnung wiederherzustellen, die nach dem Krieg im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn allerdings komplett out ist. Ein kluges Konzept – und doch, es haut nicht hin. Warum?
Im Zweiten und Dritten Akt – Sándor liebt jetzt Saffi, die Jungs ziehen in den Krieg und kehren arg lädiert, wenngleich lebendig zurück – zieht das Tempo an. Hie und da klatschen einige Gäste, aber es scheint, als habe sich die Distanz der Gänsefüßchen beim "Zigeuner"baron über den ganzen Abend gelegt, vor allem musikalisch. Dirigent Stefan Soltesz lässt keine Funken sprühen, die Walzer laden nicht ein zur Seligkeit. Acht Monate erzwungene Untätigkeit haben ihre Spuren hinterlassen. Die Musiker und das Ensemble müssen erst wieder zusammenfinden. Die Inszenierung hat Witz, sie ist durchdacht, vielleicht braucht es einfach wieder das Glück eines volleren Hauses und einer Stimmung, in der die Pandemie nur mehr eine Erinnerung ist, die langsam verblasst.
Sendung: "Allegro" am 7. Juni 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK