BR-KLASSIK

Inhalt

Kritik: "Lanzelot" von Paul Dessau in Weimar Immerhin schafft der Drache Ordnung

Mit dem Untier haben sich alle bestens arrangiert, da hat es der tapfere Ritter schwer: Seit fast fünfzig Jahren wurde Paul Dessaus Satire-Oper nicht mehr aufgeführt. In Weimar gelingt Regisseur Peter Konwitschny eine eindringliche Interpretation.

Bildquelle: Candy Welz/DNT Weimar

Es mangelt ja heutzutage wahrlich nicht an Weltverbesserern, aber Menschenverbesserer, die sind doch selten geworden. Das ist wahrscheinlich die Tragik des 21. Jahrhunderts, denn was macht eine bessere Welt ohne bessere Menschen schon für einen Sinn? Oder reicht es, unseren geschundenen Planeten den Zaun-Eidechsen und Fledermäusen zu überlassen? Als Paul Dessau 1969 seine in jeder Hinsicht monumentale Oper "Lanzelot" für die damalige Ostberliner Staatsoper schrieb, da hatte sich der Traum vom "Neuen Menschen" auch dort schon längst erledigt, wenngleich Sozialisten damals offiziell noch was anderes behaupteten, sich revolutionär gaben, ja sogar das Paradies auf Erden versprachen.

Die Stadt will nicht befreit werden

Tatsächlich gab es bekanntlich nicht nur in der DDR Anpassung, Spitzelei, Duckmäusertum, Mitläufer, Wegschauer - kurz: Eine Gesellschaft, die sich mehrheitlich einigermaßen bequem eingerichtet hatte und über Unterdrückung und Mangelwirtschaft nach Möglichkeit hinweg sah. Das macht die Komik und die Tragik dieser bitteren Satire aus, dass die Stadt, die in dieser Oper vorgeführt wird, vom Drachentöter Lanzelot gar nicht befreit werden will, sondern sich mit dem Drachen bestens arrangiert hat, auch wenn der verlangt, dass seine Untertanen ständig lächeln.

Die Inszenierung in Bildern

Das Untier verkauft in der Inszenierung von Regie-Altmeister Peter Konwitschny am Weimarer Nationaltheater praktische Tauchsieder zum Abkochen des choleraverseuchten Wassers. Der Drache heißt offenbar Müller, ein Allerweltsname, der hier allerdings auf den berühmten Textdichter Heiner Müller zielt, und macht als "Elektro-Müller" seine Geschäfte. Mit einem Anzünder in der Hand verschafft er sich den nötigen Respekt - Drachen speien ja nun mal Feuer. Dieser hier kann im Verteidigungsfall aber auch richtig aufmarschieren lassen, kommandiert Kampfbomber, Drohnen und Hubschrauber.

Gibt es noch eine Utopie?

Und als er dann doch besiegt ist, steht mit dem machtgierigen Bürgermeister schnell der nächste Drache bereit, der sich bejubeln lässt. Frage: Geht das immer so weiter, lässt sich der Mensch nun mal nicht "verbessern", oder gibt es doch irgendeine Utopie, irgendeine Hoffnung? Peter Konwitschny und sein Ausstatter Helmut Brade lassen am Ende ein voll besetztes Flüchtlingsboot in der kleinbürgerlichen Siegesfeier stranden - da bricht also ein weltweites Problem mitten hinein zwischen die freudetrunkenen und opportunistischen Bürger, die sich gerade ein paar Stunden mit sich selbst beschäftigt haben. Die Revolution fällt aus, womöglich wünschen sich schon bald viele den ordnungsliebenden Drachen zurück.

Nicht "aktuell", sondern dringlich

Der Drache spielt gerne. | Bildquelle: Candy Welz/DNT Weimar Seit fast fünfzig Jahren war dieses Werk von Paul Dessau nirgendwo mehr zu sehen. 1971, zur Zeit der Studentenrevolten und linker Theoriedebatten, gab es immerhin eine Neuinszenierung in München. Aus dem Abstand der Jahrzehnte wurde deutlich: Diese Oper ist wider Erwarten nicht gealtert, weder inhaltlich, noch musikalisch. Ganz im Gegenteil. So, wie sie in Weimar mit rund 200 Mitwirkenden auf die Bühne kam, ist sie von immerwährender Dringlichkeit, also nicht "aktuell" im oberflächlichen Sinne, sondern das, was "Weltliteratur" ausmacht: Von der Wahrheit zu erzählen, die den Menschen im tiefsten Inneren ausmacht und deshalb seine Umwelt prägt.

Großartig, welche Fallgruben Heiner Müller in seinen Text eingebaut hat, lauter böse, kleine Abgründe, die so gut getarnt sind, dass durchschnittliche Kulturfunktionäre sie nicht entdecken konnten. Dirigent Dominik Beykirch hatte nicht nur Chormassen und Dutzende von Solisten unter Kontrolle zu halten, sondern auch vierzehn Bühnenmusiker, einen riesigen Orchesterapparat im Graben - kein Wunder, dass er sich zeitweise mit einem Kopfhörer Orientierung verschaffen musste. Dabei verfiel er nicht in den Fehler, dieses wuchtige Werk auch wuchtig zu interpretieren, im Gegenteil, es waren gerade die intimen Stellen, die besonders beeindruckten, etwa ein Dialog von Lanzelot mit einem traurigen Cello.

Wie Friedrich Engels im Gehrock

Unter den Solisten überzeugte der ungarische Bariton Máté Sólyom-Nagy in der Titelrolle ebenso wie der ukrainische Bariton Oleksandr Pushniak als Drache im feinen Gehrock. Er sah aus wie Friedrich Engels im Kontor. Sopranistin Emily Hindrichs hatte als Elsa permanent in allerhöchsten Tönen ihr Schicksal zu beklagen, eine Extrempartie, die sie stimmlich überzeugender meisterte als schauspielerisch. Wolfgang Schwaninger war ein glaubhaft gerissener Bürgermeister, Andreas Koch als kunterbunter Medizinmann ein Vergnügen. Insgesamt großer Jubel für eine hochriskante, aber in jeder Hinsicht gelungene Produktion.

Lanzelot am Deutschen Nationaltheater Weimar

Informationen zu Terminen und Vorverkauf finden Sie auf der Homepage des Theaters.

Sendung: "Allegro" am 26. November 2019 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK