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Kritik - "Le nozze di Figaro" in München Temperamentvoll im Graben, kurzweilig auf der Bühne

Nein, besonders gewagt ist diese Inszenierung von Christof Loy nicht, aber intelligent, kurzweilig und emotional vielschichtig. Die Grundidee von Christof Loy ist verblüffend einfach: Den Figuren wächst die Geschichte über den Kopf.

Bildquelle: Bayerische Staatsoper/ W. Hösl

Zu Beginn, während Dirigent Constantinos Carydis in irrem Tempo durch die Ouvertüre fetzt, steht auf der Vorderbühne eine Miniaturausgabe des Nationaltheaters. Figaro und Susanna erscheinen als Marionetten. Plötzlich taucht ein realer Mensch auf, ein Riese im Vergleich, und spielt mit ihnen. Dann öffnet sich die Bühne und wir blicken in ein zu klein geratenes Rokoko-Zimmer. Die Sänger passen kaum durch die Türen. Doch nach und nach, von Szene zu Szene, wird der Raum größer und größer, bis schließlich die Sänger winzig klein wirken vor einer überdimensionalen weißen Tür.

Christof Loy inszeniert mit Humor - und bitterem Fazit

Geschrumpft wie bie bei "Alice im Wunderland": Olga Kulchynska, Alex Esposito, Christian Gerhaher | Bildquelle: Bayerische Staatsoper/ W. Hösl Die Botschaft ist klar: Am Anfang glauben alle, sie könnten die andern Figuren manipulieren wie Marionetten. Von wegen. Jede Intrige ist schon Teil einer Gegenintrige, Verstellung und echte Gefühle verheddern sich wie die Fäden einer Marionette, und am Schluss ist der Beziehungswirrwarr allen buchstäblich über den Kopf gewachsen. Das ist hübsch, aber viel wichtiger ist die psychologisch wache Personenregie. Dieser Figaro ist spielfreudig, aber keine Komödie. Regisseur Christof Loy hat Humor, und doch zieht er in dieser Opera buffa ein letztlich bitteres Fazit: Unlösbar ist das Dilemma des Begehrens. Ja, natürlich liebt Susanna ihren Figaro, aber dummerweise halt auch den Grafen. Und nur weil der jedem Rock nachrennt, sind seine Gefühle noch lange nicht komplett unecht.

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Loy zeigt illusionslos die Schwächen der Figuren, denunziert sie aber nicht. Und weil die Männer Smoking und die Frauen edle Roben tragen, befriedigt diese wenig spektakuläre, aber ziemlich ausgebuffte Inszenierung auch kulinarische Bedürfnisse. Eine konsensfähige Regie, die keine faulen Kompromisse eingeht: Klingt wie die Quadratur des Kreises, geht aber, wenn man sich so schlau anstellt wie Christof Loy.

Eine fantastische Besetzung - Christian Gerhaher überragend

Alex Esposito als Titelheld | Bildquelle: Bayerische Staatsoper/ W. Hösl Er hat allerdings auch leichtes Spiel: Die Besetzung ist fantastisch. Alex Esposito ist ein komödiantisches Naturtalent – und dann singt er auch noch vital und perfekt fokussiert. Großartig auch die beiden weiblichen Hauptrollen, zwei ganz junge und doch in jeder Hinsicht überlegene Sopranistinnen: Die Susanna der Olga Kulchynska hat Leichtigkeit und natürliche Wärme; Federica Lombardi gibt der Gräfin stimmlich Fülle, Ausdruck, Leuchtkraft. Nicht ganz auf diesem Niveau bewegen sich Anne-Sophie von Otter als Marcellina und der Cherubino von Solenn‘ Lavanant-Linke, deren etwas enges Timbre man mögen muss.

Sie alle überragt Christian Gerhaher, der den Grafen Almaviva charmant von einer Peinlichkeit in die nächste stolpern lässt. Gerhaher ist von seinem ganzen Wesen her so ziemlich das Gegenteil eines glatten Filous. So sympathisch verpeilt hat man den Grafen selten gesehen, und einen, der so fein und differenziert singt, gibt’s auch nicht alle Tage. Was für ein Piano, was für eine durchdachte Phrasierung! Umso stärker und ansteckender wirken dann die plötzlichen Ausbrüche von aggressiver Lebenslust.

Constantinos Carydis zeigt elektrisierende Musizierwut

Volles Risiko fährt Dirigent Constantinos Carydis, der aus dem Bayerischen Staatsorchester ein hellwach reagierendes Ensemble mit historischen Blasinstrumenten macht. Bei schnellen Tempi treibt er gnadenlos alles nach vorn, elektrisierend, aber auch stressig. Am Anfang hakt es manchmal zwischen Bühne und Graben. Aber wenn dann die Ruhepole kommen, die ausdrucksvollen Arien der Gräfin, findet er zu einem wunderbar atmenden Puls. Und was kann man da nicht alles hören! Carydis hebt die Begleitstimmen hervor, lässt das Fagott aufblühen und die Bratschen singen. Jede Phrase spricht, jede Pause ist mit Bedeutung geladen. Dieser Dirigent traut Mozart alles zu – und man entdeckt eine oft routiniert runtergenudelte Partitur mit staunenden Ohren neu. Ja, er macht eher zu viel als zu wenig. Und manchmal wird aus seiner Musizierlust fast schon Musizierwut. Aber Carydis verfällt dabei nie in selbstverliebte, sterile Effekthascherei, wie sie gelegentlich sein Landsmann Teodor Currentzis betreibt. Dafür hat er viel zu viel natürliches, mitreißendes Temperament. Alles in allem ein richtig starker Abend.

Sendung: "Allegro" am 27. Oktober 2017 ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK