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Geiger und Dirigent Leonidas Kavakos im Interview Annähern an die Besessenheit

Der griechische Geiger Leonidas Kavakos hat schon mehrfach mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gearbeitet. In dieser Saison nun ist er dort "Artist in Residence". Besonders schätzt Kavakos die Arbeitsatmosphäre - und die "sehr sensitiven" Musikerinnen und Musiker. In dieser Woche ist Kavakos beim Symphonieorchester in einer Doppelrolle als Solist und Dirigent zu Gast - mit einem reinen Beethoven-Programm.

BR-KLASSIK: Sie spielen das Violinkonzert von Beethoven und leiten gleichzeitig das Orchester. Sie können das Orchester aber gar nicht sehen, denn Sie sind zum Publikum ausgerichtet. Wie geht das, zu Dirigieren und zu Solieren?

Leonidas Kavakos: Geige zu spielen und gleichzeitig ein Konzert zu dirigieren, das ist tatsächlich sehr schwer. Die Geige schränkt mich bewegungsmäßig ziemlich ein, so dass ich nur wenige Möglichkeiten habe, mit dem Orchester zu interagieren. Ich habe keine Hand frei und stehe mit dem Rücken zum Orchester, wie Sie ja schon erwähnt haben. Aber trotzdem entsteht dieses wunderbare Miteinander, das gemeinsame Atmen – das finde ich absolut erstaunlich. Klar kann man sagen: Dirigieren heißt: Du schaust zum Orchester, deine Hände sind frei und du gibst Zeichen. Aber so einfach ist die Sache nicht. Da schwingt etwas mit, was mit Worten schwer zu beschreiben ist. Allein schon die Tatsache, dass 80 oder 100 Leute gleichzeitig ein- und ausatmen. Das muss man erstmal hinkriegen. Das geht nur mit äußerster Konzentration und einem starken gemeinsamen Willen, in diesem Moment ganz präsent zu sein. Natürlich ist es für einen Dirigenten einfacher, wenn er die Hände frei hat, vor allem für technische Details. Aber es ist so: Die Musiker haben ihre Ohren alle weit offen, ihre Sinne sind ganz auf Empfang eingestellt, sozusagen "in Alarmstellung". Dazu kommen die hohen künstlerischen Fähigkeiten, die jede und jeder mitbringt. Gerade mit einem so großartigen Orchester wie dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks traue ich mir diese Aufgabe zu. Ich finde, es lohnt es sich, das Risiko auf sich zu nehmen. Bisher war es immer eine erstaunliche Erfahrung.

BR-KLASSIK: Wenn ich Sie so sprechen höre, dann sprechen Sie über etwas, das nicht nur mit Musik zu tun hat. Das klingt nach einer großen Geisteskraft, die es beim Musizieren zu entwickeln gilt.

Leonidas Kavakos: Viele Leute denken, Musik ist Klang. Musik ist aber nicht nur Klang. Der Klang ist nichts als eine äußere Erscheinungsform von Musik. Die Quelle der Musik liegt viel tiefer. Hinzu kommt, dass unsere Ohren ja nur einen kleinen Teil des großen Frequenzbereiches hören. Katzen zum Beispiel hören viel mehr als wir, sie können ganz andere Frequenzbereiche wahrnehmen. Wir denken, dass das, was wir hören, Musik ist. Fragen wir uns doch mal, was Musik ausmacht? Rhythmus und Harmonie. Weder Rhythmus noch Harmonie sind Klang. Die Harmonie beruht auf Proportionen. Der Rhythmus beruht auch auf Proportionen und fließt. Das liegt hinter dem, was wir hören. Musik ist das, was dahintersteht oder eine Ebene darüber zu verorten ist. Es ist so, wie wenn wir jemanden anschauen. Wir sehen all die Äußerlichkeiten: Wie schaut derjenige aus? Wie groß ist er? Wie dick? Wie bewegt er sich? Welche Hautfarbe hat er? Ist er blond oder schwarzhaarig? Aber das ist nicht der Mensch, die Seele. Bei der Musik ist genauso. Deswegen verwende ich andere Begriffe, wenn es um Musik geht.

Es ist eine ästhetische Kraft, die alle Sinne und Gefühle erweckt.
Leonidas Kavakos

BR-KLASSIK: Sie haben zwei sehr bekannte Werke von Beethoven aufs Programm gesetzt: das Violinkonzert und die 7. Symphonie. Diese Symphonie wird oft als politisches Stück bezeichnet, weil sie entstanden ist, als Napoleon mit seinen Truppen Wien belagert hatte und danach eine Menge Probleme auftauchten - also Staatsbankrott, Hungersnot und die Folgen der Kämpfe. Sehen Sie Beethoven in diesem Licht oder ist diese Stück in einer völlig anderen Dimension angesiedelt?

Leonidas Kavakos: Wie kann man sich aus der Politik heraushalten, wenn man ein lebendiger Mensch sein möchte? Ich meine nicht nur biologisch lebendig, sondern lebendig als Mensch seiner Zeit. Es gibt Leute, die sagen: Ich bewege mich nur auf dem spirituellen Level und diese Welt interessiert mich nicht: Das ist aus meiner Sicht Nonsens. Man kann auch sagen: Ich befasse mich nur mit dem, was hier auf der Erde geschieht und lasse die spirituelle Dimension links liegen. Das ist auch falsch. Die Wissenschaft hat es schon bewiesen: Der Mikrokosmos ist im Makrokosmos enthalten. Beide unterliegen denselben Gesetzen. Wenn du also ein wirklich lebendiger Mensch sein willst, kannst du nicht einfach bestimmte Teile des Lebens ausblenden. Was spiegelt uns eine Beethoven-Symphonie wirklich? Ist es tatsächlich die politische Botschaft? Es mag ein Aspekt sein, ja. Aber ich sehe darin etwas viel Größeres, nämlich ein ästhetisches Statement. Das hat erstmal nicht unbedingt etwas mit Schönheit zu tun. Es ist eine ästhetische Kraft, die alle Sinne und Gefühle erweckt.

Das hat Beethoven nicht gemacht, weil ihm die Ideen ausgegangen sind.
Leonidas Kavakos

Während der Proben habe ich dem Orchester erklärt, dass wir uns dieser Besessenheit annähern müssen. Beethoven hat ja viele Motive in dieser 7. Symphonie, die ständig wiederholt werden. Manchmal kommen diese Motive im Hauptthema, manchmal liegen sie unter der Hauptstimme. Aber egal, wie sie im musikalischen Geschehen eingearbeitet sind – sie sind immer da und an manchen Stellen explodieren sie regelrecht. Und eines ist sicher: Das hat Beethoven nicht gemacht, weil ihm die Ideen ausgegangen sind. Das wäre so, wenn ich komponieren würde. Mir würden die Ideen ausgehen und ich würde mich wiederholen. Aber nicht Beethoven! Wir wissen, dass Beethoven genial und ohne Ende improvisieren konnte. Wenn ein solches Genie von einer Idee so besessen ist, dass er sie permanent wiederholt, will er uns damit etwas sagen – es ist eine Anregung, ein Vorschlag. Vielleicht will er uns sagen, dass wir uns auf etwas Bestimmtes konzentrieren und es genauer untersuchen sollen. Oder dass wir uns mit voller Kraft für unser Anliegen einsetzen sollen. Oder dass wir geduldig sein und langsam an unserem Ziel arbeiten sollen. Wie schon gesagt: es ist es ein ästhetisches Statement und darüber hinaus eine Anregung für eine Kommunion mit etwas, das unsere Sinne erweckt – für Irdisches und Überirdisches.

 Sendung: "Leporello" am 28. März 2019 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK