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Kritik - "Stumme von Portici" in Dortmund ohne Publikum Wie sinnvoll sind "Geisterpremieren"?

Zwanzig Kritiker und reichlich Platz: Die Oper Dortmund lud am 13. März zur ersten Premiere ohne Publikum. Einige weitere sollen anderswo folgen. Bizarr oder künstlerisch wohl begründet? Regisseur Peter Konwitschny hält solche Geistervorstellungen für einen "ganz schönen Hammer".

Bildquelle: BR / Peter Jungblut

Gut, in München haben sie einst für König Ludwig II. Privatvorstellungen gegeben, übrigens nicht nur Wagner-Opern, auch Schauspiele. Da saß also nur ein Zuschauer im Saal. Jetzt, bei der ersten "Geister-Premiere" nach der flächendeckenden Schließung der Theater, schauten in Dortmund immerhin rund zwanzig Kritiker zu. Das waren also schon mal mehr Gäste als derzeit in vielen TV-Shows. Die Neugier auf die selten aufgeführte "Stumme von Portici" (1828) war groß, zumal Regie-Altstar Peter Konwitschny inszenierte. Aber reicht das, um in Corona-Zeiten eine Premiere fast ohne Publikum anzusetzen?

"Abschluss eines künstlerischen Prozesses"

Dortmunder Intendant Heribert Germershausen kämpfte bei den städtischen Behörden für diese ungewöhnliche Aufführung: "Ich finde es deshalb sinnvoll, weil so ein Abend der Abschuss eines künstlerischen Prozesses ist, und der wäre einfach unterbrochen, wenn es diesen Abend nicht geben würde." Das wäre für alle Beteiligten wichtig, sagt Germershausen. "Außerdem hoffen wir ja alle, dass wir ab Mitte oder Ende April wieder spielen können." Solche "Geister-Premieren" soll es übrigens in den nächsten Tagen noch einige weitere geben, in Krefeld, aber auch in Regensburg.

Regisseur Peter Konwitschny, inzwischen 75 Jahre alt, hält die vorübergehende Schließung der Theater wegen der Ausbreitung des Coronavirus für unvermeidlich und so eine menschenleere Premiere dabei in mehrfacher Hinsicht für ein Fanal: "Das ist eigentlich ein sinnloser Vorgang. Das ist so, als wenn ich stumm mit jemandem kommunizieren wollte, als ob ich jemandem etwas sagen wollte, und zwischen uns ist keine Luft. So wie auf dem Mond, obwohl ich ganz nah stehe, hört der mich nicht. Das ist aber auch symbolisch ein ganz schöner Hammer, wenn das Theater auf sich selbst zurückgeworfen wird."

Konwitschny sarkastische Deutung und ein steriler Dirigent

Szene aus "Stumme von Portici" an der Oper Dortmund | Bildquelle: © Thomas Jauk/Oper Dortmund

Auf der Bühne zeigte der bekennende Fatalist Konwitschny einmal mehr einen schwermütigen Abgesang auf jeden Fortschritt. "Die Stumme von Portici" eignet sich dafür ganz besonders, denn es ist die einzige Oper, die jemals eine Revolution ausgelöst hat: 1830 in Belgien. Damals ließ sich das rebellische Publikum von den Arien zum Aufstand hinreißen. Komponist Daniel-Francois-Esprit Aubert lässt arme Fischer in Neapel gegen den Adel Sturm laufen. Erfolglos übrigens, denn als der Sieg sicher zu sein scheint, bricht der Vesuv aus und begräbt alle unter sich. In Dortmund werden vorher auch noch jede Menge Revolutionäre symbolisch erschossen - von Jeanne d'Arc über Thomas Müntzer bis Che Guevara. Und am Ende lodern natürlich die Flammen über der Lava. Insgesamt eine sehr sarkastische Deutung. Der Held, der zunächst noch hoch zu Ross triumphiert, wird kurz darauf prompt irrsinnig. Erstaunlich, wie Mirko Roschkowksi im leeren Saal seine Rolle stemmt, auch der Chor hatte sich augenscheinlich wundersam motiviert. Dirigent Motonori Kobayashi führte dabei begreiflicherweise etwas sehr steril durch den Abend.

Nicht alle Inszenierungen eignen sich zum Streaming

Manche Theater, vor allem die sehr großen, versuchen es ja jetzt mit Angeboten im Netz statt auf der Bühne. Heribert Germershausen ist da skeptisch: "Ich habe zum Streaming ein gespaltenes Verhältnis. Nichts ist langweiliger als abgefilmtes Theater". Wenn, dann müsste es Bestandteil des künstlerischen Prozesses gewesen sein, sagt Germershausen. "Die Metropolitan Opera in New York macht das auf einem extrem professionellen Niveau, aber es eignen sich nicht alle Inszenierungen dafür."

"Krise dämpft den Hochmut"

Bei allem, was die Corona-Krise an Düsternis und Einschränkungen bringt, sieht sie Peter Konwitschny immerhin auch als Weckruf, grundsätzliche Fragen zu stellen - auch solche, die den ein oder anderen womöglich ängstigen: "Vielleicht hilft uns das, zum Tod ein anderes Verhältnis zu bekommen, denn dass wir den Tod so radikal verdrängen, heißt eigentlich, dass wir nicht richtig leben können. Kriege, solche Seuchen und Unglücke aller Art haben ja ein Gutes: Dass der Hochmut gedämpft wird." Klingt sehr biblisch, aber mit 75 darf ein Regisseur ja wirklich altersweise sein und muss sich um den Zeitgeschmack nicht mehr scheren.

"Stumme von Portici": voraussichtlich wieder ab 8. Mai an der Oper Dortmund.