Da war Spontanität gefragt! Innerhalb gut eines Tages musste das Festspielkonzert "Oper für alle" vom Marstallplatz in das Münchner Nationaltheater verlegt werden. Zu schlecht war die Wetterprognose. Das ging deswegen, da die Tickets wegen Corona limitiert waren und vorher bestellt werden mussten. Der Eintritt war aber wie immer frei. Eine organisatorische Mammutaufgabe für das Team der Bayerischen Staatsoper, doch es hat sich gelohnt. Die konzertante Aufführung von Verdis "Aida" am 17. Juli wurde zu einem Fest der Stimmen und zum Triumph für einen Münchner Publikumsliebling: Zubin Mehta.
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Es wirkt, als würde er emporschweben. Ganz langsam fährt Zubin Mehta im Orchestergraben nach oben, bis das Dirigentenpult auf dem üblichen Niveau angelangt ist. Magisch wirkt das. Anscheinend wollte man dem Maestro die Stufe auf das Podium ersparen. Er lächelt sein Lächeln. Gütig, liebevoll, vorfreudig, charmant. Und wird schon nach der Pause mit Standing Ovations vom Publikum gefeiert.
Durch die Konzertsituation fällt erst auf, wie sehr Aida eine Tableau-Oper ist. Wie wenig szenische Aktion zwischen den Protagonisten darin liegt und wie viel reine Instrumentalmusik Verdi komponiert hat, um den Tanzeinlagen, den Aufmärschen und den Anbetungen der ägyptischen Gottheiten Raum zu geben. Mehta verleiht diesen Ballabili und Zwischenspielen symphonische Qualität. Dass er das Staatsorchester zu Momenten von sphärischer Schönheit inspiriert, dass die Solobläser erstrahlen können, ist das eine. Dass er dem Ganzen eine völlige Selbstverständlichkeit verleiht, die gerade aufgrund dieser Leichtigkeit so zwingend ist, das andere.
Natürlich greift Mehta auch in die Vollen. Die Aktschlüsse krachen, die Sforzato-Akkorde knallen, die Paukenwirbel rollen. Manchmal deutet er in den großen Ensembles auf einzelne Solisten oder auch in den opulent singenden Chor der Bayerischen Staatsoper und prompt folgt die Reaktion: Ein Mehr an Klang und Ausdruck.
Lustigerweise stand Krassimira Stoyanova dieser Singweise diametral gegenüber. Wenn Aida die Stimme fluten lassen kann, sie die großen Tutti-Szenen mit einem hohen Ton krönen soll, hält sie sich zurück. Die Stimme ist zu lyrisch und Stoyanova zu klug, über ihre Möglichkeiten zu singen. Dafür hat sie Raum für Zwischentöne, für Farbastimmungen, für schwebende Piani. So gelingt ihr das gefürchtete hohe C in der "Nilarie" wunderbar, auch wenn sie unmittelbar vorher Luft holen muss. Wie sie die Phrasen auf dem Atem spinnt und so ihre Stimme in allen Lagen – unten mit geschmackvoller Beimischung des Brustregisters – völlig homogen klingt, ist große Gesangskunst.
Das – vor allem im Parkett – auffallend junge Publikum spendete frenetisch Beifall nach diesem "Oper für alle"-Festkonzert, das dem Erfinder Sir Peter Jonas gewidmet war. Und besonders in den Ensembles dieser Aida, wenn sich die Sänger gegenseitig aufstacheln, jeder eine Schippe drauflegt und so an die volle Leistungsgrenze geht, wurde spürbar, was wir alle so lange entbehren mussten. Das ist Oper! Das ist live! Das macht richtig Spaß!
Sendung: "Allegro" am 19. Juli 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK