Mitleid und Macht, Sex und Reinheit, Religion und Erlösung – mit Wagners "Parsifal" begannen am Donnerstag die Opernfestspiele in München. Die Neuproduktion glänzte mit Starbesetzung: Jonas Kaufmann, Christian Gerhaher, René Pape. Georg Baselitz gestaltete das Bühnenbild, Kirill Petrenko stand am Pult, die Regie führte Pierre Audi.
Georg Baselitz ist ein großartiger Maler, berühmt und begehrt. In einschlägigen Rankings belegt er Platz vier unter den teuersten lebenden Künstlern. In Baselitz zu investieren, kann auch unter Anlagegesichtspunkten empfohlen werden. Und so präsentierte die Bayerische Staatsoper den Malerfürsten als Bühnenausstatter des neuen Parsifal wie eine Trophäe.
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Immerhin geht es hier um eine der verrücktesten, maßlosesten, ambivalentesten und fragwürdigsten Opern der Musikgeschichte. Es geht um einen maroden Männerbund, Mitleid und Macht. Um Sex und Reinheit, Religion und Erlösung. Dazu kann man gern Baselitz-Bilder assoziieren. Als Reproduktionen im Programmheft wären sie besser aufgehoben gewesen als auf der Bühne. Vor allem ersetzen sie kein lebendiges Theater.
Aber wir sitzen im Parsifal – und darin geht es nicht nur um Wunden, sondern auch um ein Wunder. Das vollbringt Kirill Petrenko. Die musikalische Seite ist so außergewöhnlich schön, dass man – heilig hehrstes Wunder – eben doch den ganzen Abend über gefesselt ist. Petrenko trägt die Sänger auf Händen. Keiner muss auch nur eine Sekunde forcieren. Kein Wagner-Gebell, nirgends. Stattdessen Pianissimo-Zauberei, Höhepunkte mit Gänsehautwirkung, wunderbar schnelle, flüssige Tempi und traumverlorene Momente. Nina Stemme als Kundry schießt Spitzentöne wie Leuchtraketen in den Bühnenhimmel, René Pape gibt dem Gurnemanz unanfechtbare Bassautorität und Jonas Kaufmann lässt den Parsifal mit seinem dunklen Tenor eindrucksvoll reifen. Überragend ist Christian Gerhaher – in einer Partie, von der viele dachten, dass sie nicht zu ihm passt. Psychologisch so aufregend hört man den Amfortas selten. Das kann fahl und bösartig klingen, zerfließend in Selbstmitleid und im nächsten Moment tief verzweifelt.
Wer Opern nicht nur anschaut, sondern vor allem hören will, muss diesen Parsifal erleben. Bei allem Respekt vor der Malerei: In dem, was Wagner hochtrabend Gesamtkunstwerk nannte, gibt letztlich eben doch die Musik den Ausschlag. Und die ist an diesem Abend fantastisch – trotz gähnender Bühnen-Langeweile.
Sendung: "Allegro" am 29. Juni 2018 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK