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Regisseur Kirill Serebrennikov im Portrait Nicht mundtot zu kriegen

Kirill Serebrennikov arbeitet ganz im Hier und Jetzt. Seine Inszenierungen sind bunt, frech und offen. Zu offen für Putins Regime. Seit Jahren ist Serebrennikov in Russland staatlicher Repression ausgesetzt. Dennoch macht er weiter, Hausarrest und Reisebeschränkungen zum Trotz. BR-KLASSIK-Autorin Dorothea Husslein porträtiert den Regisseur, der in München gerade Schostakowitschs "Die Nase" inszeniert.

Bildquelle: picture alliance/Alexey Kudenko/Sputnik/dpa

Nach seiner Entlassung aus dem eineinhalbjährigen Hausarrest vor zwei Jahren zeigte sich Kirill Serebrennikov optimistisch. Er sei froh, wenn "dieser ganze Unsinn" aufhöre und er wieder richtig seine Arbeit aufnehmen könne, sagte der Regisseur. Aus der Not entwickelte er damals eine besondere Arbeitsweise: Da er im Hausarrest weder telefonieren durfte noch Internet-Zugang hatte, notierte er in minutiöser Kleinarbeit seine Inszenierung von Mozarts "Così fan tutte" in die Partitur, Takt für Takt. Über seinen Anwalt gelangte das Regiebuch zu seinem Assistenten Jewgeni Kulagin, der Serebrennikovs Vorstellungen dann bei der Premiere in Zürich umsetzte.

Der Fern-Regisseur

2018 war das. Der Hausarrest ist Vergangenheit. Ausreisen darf Serebrennikov jedoch bis heute nicht. Also behält er diese Art von Fern-Regie bei. So bei der "Salome" an der Stuttgarter Oper, "Nabucco" in Hamburg, zuletzt im April beim "Parsifal" an der Wiener Staatsoper und jetzt bei "Die Nase" von Dmitrji Schostakowitsch an der Bayerischen Staatsoper. Serebrennikov lässt sich nicht mundtot machen.

Die Musik – die gewinnt fast immer.
Krill Serebrennikov

Er versuche in allem das Positive zu sehen, sagt der Starregisseur von sich. Und ist um eine Demonstration dieser Haltung nicht verlegen: "Ich sitze hier an einem gemütlichen Ort in der Ferne. Das Reiseverbot hält mich nicht von der Arbeit ab. Meine Freunde helfen mir, das zu tun, was ich machen will. Das Leben ist eine grüne Pflanze, die immer weiter gedeiht. Und diese gedeihende Pflanze kann auch Asphalt durchbrechen. Das bedeutet: Das Leben siegt. Und die Kunst gewinnt ebenfalls. Und die Musik – die gewinnt fast immer."

Der Optimist

Kririll Serebrennikov zugeschaltet aus Russland bei einer Probe der "Nase" an der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: Wilfried Hösl / Bayerische Staatsoper Serebrennikov ist kein Draufgänger, sondern ein streitbarer Intellektueller mit Vorliebe für Wollmützen und markante Brillen. Er ist studierter Physiker, kam aus Begeisterung für die Kunst autodidaktisch zum Theater und entwickelte sich bald zum erfolgreichen Regisseur. 2012 wurde er künstlerischer Leiter des Gogol-Centers. Serebrennikov und sein Gogol-Theater avancierten zum Symbol des kulturellen Aufbruchs.

Seitdem er sich Putin zum Feind gemacht hat, weht jedoch ein anderer Wind. Bei allem Erfolg machte sich der der offen schwul lebende, liberale Serebrennikov bei konservativen Kreisen und besonders bei der einflussreichen russisch-orthodoxen Kirche unbeliebt. Seine Arbeiten sind gesellschaftskritisch, im Hier und Jetzt beheimatet, oft bunt, frech und offen, und der Rhythmus spielt stets eine wichtige Rolle. Serebrennikovs Arbeiten sperren die Realität nicht aus. Das zeigt auch seine jüngste Produktion an der Bayerischen Staatsoper: "Die Nase" von Dimitrji Schostakowitsch. Er arbeite bewusst mit Bildern aus dem heutigen Russland, so Sebrennikov. "Aber natürlich gibt es auch surrealistische Elemente: Reales wird verrückt rekombiniert, wodurch es aufhört, real zu sein. Wir nehmen Elemente aus dem echten Leben und kombinieren sie collagenartig zu etwas Neuem."

Sendung: "Allegro" am 22. Oktober 2021 ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK