Treue und Standhaftigkeit - darum geht es in Mozarts "Entführung aus dem Serail". Wirklich? Und was ist mit den Gefühlen, die Konstanze und Blonde für ihre neuen Besitzer entwickeln? Regisseurin Sigrid Herzog stellt für ihre Inszenierung am Mainfrankentheater Würzburg eines klar: So einfach ist das mit der Liebe nicht.
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Wer wüsste es nicht: Liebe lässt sich nicht erzwingen. Trotzdem wird es bekanntlich immer wieder versucht: Mit Geld, Macht und Gewalt. Insofern ist Mozarts "Entführung aus dem Serail" so aktuell wie eh und je, und zwar beileibe nicht nur mit Blick auf den Nahen Osten, wo vermögende Männer ihre Frauen erst reich beschenken und dann wegschließen. Weltweit ist der Feminismus ja längst ins Gerede gekommen und allerorten führen Populisten ihre wechselnden Lebensgefährtinnen wie Trophäen vor - vom Wiener Baulöwen Richard Lugner über Silvio Berlusconi bis zu Donald Trump und diversen russischen Oligarchen. Lauter goldene Käfige. Und die Medien spielen gerne mit und fotografieren die kitschigen Deckengemälde, die protzigen Möbel und den vulgären Schmuck.
Regisseurin Sigrid Herzog hätte es sich gestern Abend am Würzburger Mainfrankentheater mit ihrer Inszenierung der "Entführung aus dem Serail" also leicht machen können, etwa mit einer Satire auf prestigesüchtige Potentaten mit ordinären Bedürfnissen. Stattdessen fragte sie sehr intelligent und unterhaltsam, was das eigentlich ist, die Liebe - übrigens mit einer sehr überraschenden Schluss-Pointe, die hier natürlich nicht verraten wird. Jedenfalls entwickeln die beiden gefangenen und als Sklavinnen verkauften Frauen Konstanze und Blonde durchaus Gefühle für ihre neuen Besitzer, die sie sehr großzügig und respektvoll behandeln.
Ausstatter Davy van Gerven ließ die Handlung zunächst vor einem goldschimmernden Vorhang ablaufen, Sinnbild von Üppigkeit und Überfluss. Doch der Palast-Raum, der dahinter sichtbar wird, ist durchaus geschmackvoll eingerichtet. Ein paar dekorative Terrakotta-Vasen, eine lange Bank mit sehr vielen Kissen. Nach der Pause gähnt auf der Bühne schwarze Leere. Zwei schäbige Holzstühle stehen herum, später ein paar Hocker, als ob alles, was jetzt kommt, nichts mehr mit der Realität zu tun hat, reine Spekulation ist. Entsprechend unwirklich kommt das Ende daher: die große Versöhnung, der Verzicht auf Rache, die Verherrlichung der Liebe.
Mozart zum Mitdenken, Mitfühlen, Mitdiskutieren - eine lohnende Anstrengung des Mainfrankentheaters. Wolfram Rupperti ist in der Sprechrolle des Bassa Selim ein souveräner Herrscher - nicht frei von Aggressionen, aber in seiner Liebesbedürftigkeit sehr verletzlich. Und ist nicht gerade sein Verzicht auf jede Art von Vergeltung der größte aller Liebesbeweise? Silke Evers als Konstanze und Anja Gutgesell als Blonde ergänzten sich wunderbar, die eine tragisch hin und her gerissen, die andere pragmatisch das Nützliche mit dem Angenehmen verbindend. Der spanische Tenor Roberto Ortiz wirkte als Liebhaber Belmonte recht verschattet bis schwermütig, Maximilian Argmann als Pedrillo gab glaubwürdig den verspielten Narzissten, der sich im Grunde nur für die eigenen witzigen Einfälle interessiert. Dirigent Enrico Calesso atmete hörbar mit den Sängern mit, hing ihnen an den Lippen, teilte ihre Emotionen und brachte Mozarts leidenschaftliches Plädoyer für Wahrhaftigkeit zu Gehör: Augenzwinkernd, heiter, aber auch sehnsuchtsvoll und ernsthaft. Das ist ja das tückische an der Liebe: Sie sieht so einfach aus und ist so verdammt schwer.
Premiere war am 27. November, Weitere Termine und Informationen unter theaterwuerzburg.de