Es beginnt mit der Malerei Caspar David Friedrichs und endet in der Gaskammer. In seiner neuen Inszenierung von Hector Berlioz' "La damnation de Faust" an der Staatsoper Berlin wagte Terry Gilliam einen chronologischen Streifzug durch die deutsche Geschichte. Ein Konzept, das gründlich misslang.
Es hätte funktionieren können. Deshalb wirft die Kritikerin zunächst kurz einen melancholischen Blick zurück auf jene Inszenierung, die für alle Zeiten Maßstäbe gesetzt hat im künstlerischen Umgang mit dem Faschismus und der Shoah. Peter Zadek hat vor über 30 Jahren an der Freien Volksbühne Berlin Joshua Sobols Ghetto als musikalische Revue inszeniert, ein Stück über eine jüdische Theatertruppe im Holocaust mit dem Klarinettisten Giora Feidmann, mit Esther Ofarim in der Hauptrolle, Michael Degen als Judenratpolizist und dem bösartigst charmanten Ulrich Tukur als SS-Mörder. Eine Inszenierung, die niemand, der sie gesehen hat, je vergessen kann. Quer über der Bühne hing ein Plakat: "Auf dem Friedhof spielt man kein Theater." Zadek hat bewiesen: man kann ohne Kitsch und mit viel Poesie Theater, sogar ein Musical inszenieren mit dem Judenmord als Thema. Genau dies ist dem britischen Regisseur Terry Gilliam als Oper gründlich misslungen.
Das Positive vorne weg: Es war musikalisch ein Hochgenuss mit Simon Rattle am Pult der hinreißend transparenten, romantisch spielenden Staatskapelle, seiner - die Marguerite sehr lyrisch singenden - Gattin Magdalena Kozena und einem höchst differenziert und berührenden Charles Castronovo als Faust.
Bilder der "La damnastion de Faust"-Inszenierung an der Staatsoper Berlin
Das Positive an der Inszenierung: Gilliam hat die Legende, wie Berlioz sein Werk nannte, absolut kurzweilig und abwechslungsreich bebildert. Es sollte ein Parforceritt durch die deutsche Geschichte werden mit Caspar David Friedrich Romantik zu Beginn und Marguerite als Jüdin auf dem Leichenberg einer Gaskammer zum Schluss. Faust oder französisch richtiger Faust als Urdeutscher Mythos, der von Goethe über die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges direkt in die Judenvernichtung führt.
Faust in seiner Studierstube - ein wanderndes Quadrat mit Schließfächern - will das Chaos der Welt ordnen und scheitert in einer Höllenfahrt. Gilliam will einen Stoff, den Berlioz selbst nur konzertant angelegt hat, partout als chronologische Geschichte erzählen. Was im Programmheft höchst schlüssig klingt, eine Assoziation beispielsweise der Thulegeschichte des Gretchen mit der Thulegesellschaft der NSDAP, das geht in der Kannonade eines Klischeereigens schlicht unter. Buhrufe und Bravos des Publikums hielten sich die Waage. Die Rezensentin hat häufiger die Augen geschlossen, um der Musik zu folgen. Und ergab sich schließlich mit stillem Seufzen einem "Augen zu und durch".
Mit Magdalena Kožená, Charles Castronovo, Florian Boesch und Jan Martiník
Regie: Terry Gilliam
Musikalische Leitung: Simon Rattle
an der Staatsoper Berlin
Premiere:
Samstag, 27. Mai 2017
Weitere Termine:
Donnerstag, 1. Juni, 19.00 Uhr
Sonntag, 4. Juni, 19.00 Uhr
Freitag, 9. Juni, 19.00 Uhr
Sonntag, 11. Juni, 19.00 Uhr
Sendung: "Allegro" am 29. Mai 2017, 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK.