Ihre Liebe ist gescheitert. Orpheus und Eurydike betrügen sich gegenseitig. Lüge, Schein und Doppelmoral - Jacques Offenbach hielt mit seiner Operette über die griechische Sage der Gesellschaft seiner Zeit den Spiegel vor. Nun inszenierte Armin Petras das Werk in Stuttgart. Das Ergebnis: ein langweiliger Operettenabend.
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Stuttgart ist ja nicht gerade eine Bastion des Frohsinns, und die dortige Oper ist auch nicht für ausgelassene Heiterkeit bekannt, sondern allenfalls für feine Ironie. Über Jahre hinweg wurden die Zuschauer hier sehr erfolgreich zum Mitdenken und Mitdiskutieren erzogen, weniger zum Mitschunkeln, Mitsummen und Mitklatschen. Es war also von vorneherein klar, dass in Stuttgart beim berühmten Cancan in Jacques Offenbachs "Orpheus in der Unterwelt" garantiert nicht die Röcke fliegen würden. Und wie zu erwarten, wurde auch sehr wenig gelacht.
Armin Petras' Eurydike ist zunächst geschundene Fabrikarbeiterin im Paris um 1870, heiratet dann den eitlen Künstler Orpheus, brennt schließlich mit dem sadomasochistischen Unterweltgott Pluto durch, hängt sich kurz darauf an Zeus persönlich und endet als Gefährtin in den Armen von Bacchus, einem Klebstoff schnüffelnden Junkie. Hier wird also Aufstieg und Fall der Bourgeoisie beschrieben: Eine Frau will nach oben, will die Verhältnisse auf den Kopf stellen, aber die sind stärker als sie - und deutlich fader. Es stimmt ja: Offenbach hielt der neureichen Schickeria seiner Zeit den Spiegel vor, und sicherlich lag damals schon der Arbeiter-Aufstand der Pariser Commune in der Luft. Aber das hätten Petras und seine Ausstatterinnen Susanne Schuboth und Dinah Ehm sehr viel schärfer, direkter und einfallsreicher bebildern müssen. Den Cancan von vier Tänzern als "Dämonen" im Skelett-Trikot vorturnen zu lassen, reicht nicht, um die Abgründigkeit der Operette auszuleuchten. Die Götter im Himmel sind nicht etwa böse Kapitalisten oder schläfrige Großbürger, sondern Langweiler in Pastellfarben. Die eigentlich herrlich satirischen Ensemble-Szenen plätschern fast griesgrämig vorbei.
Bilder von der Inszenierung finden Sie hier.
Insgesamt also eine zu matte und vor allem witzlose Gesellschaftskritik, zumal Filmeinspielungen einmal mehr den Ersten Weltkrieg herbeizitierten, im Zusammenhang mit der Operette ein inzwischen abgenutzter Effekt. Im Programmheft bedauerte Karl Kraus übrigens, dass immer mehr Menschen nicht mehr in der Lage sind, im Theater den Verstand auszuschalten, wo die Operette doch vom Unsinn lebe. Wirklich tragisch!
Premiere war am 4. Dezember, weitere Termine und Informationen unter oper-stuttgart.de
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