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Kritik - Henry Purcells "King Arthur" an der Berliner Staatsoper Grosser Bogen vom Mittelalter in die Gegenwart

Wenn die Berliner Staatskapelle Anfang des neuen Jahres auf Tournee geht, nimmt regelmäßig die Akademie für Alte Musik Berlin ihren Platz im Graben der Berliner Staatsoper ein. Am Pult steht ebenso regelmäßig René Jacobs, der sich in diesem Jahr Henry Purcells "King Arthur" vorgenommen hat, eine "dramatick opera" über den legendären König Artus. Es handelt sich um eine Art Schauspiel mit Musik, zudem wird die überschaubare Handlung von den Schauspielern transportiert, die Sänger kommentieren eher das Geschehen. Keine leichte Aufgabe für die Regisseure Sven-Eric Bechtolf und Julian Crouch.

: Die Kritik zum Nachhören

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"Fairest Isle", die schönste Insel, das ist für Henry Purcell selbstverständlich Großbritannien. Hier herrscht der legendäre König Artus, der sich gerade gegen den feindlichen Sachsenkönig Oswald wehren muss, der ihm auch noch seine blinde Gattin Emmline ausspannen will. Um die dramaturgischen Probleme der vom Librettisten John Dryden extrem revuehaft erzählten Handlung in den Griff zu bekommen, hat Regisseur Sven-Eric Bechtolf kurzerhand eine neue Personenkonstellation hinzuerfunden: Zum achten Geburtstag des Sprößlings Arthur versammeln sich Freunde und Familie. Vom Großvater hat er Ritterfiguren bekommen, mit denen die beiden am Abend den Inhalt eines alten Sagenbuchs nachspielen.

Ironischer Dreh

Bildquelle: © Ruth Walz Arthur vermisst seinen Vater, der als Bomberpilot im Zweiten Weltkrieg gefallen ist, und schon verschwimmen die Zeitebenen. Der Ritter verliert sich im barocken Tapeten-Zauberwald, der feindliche Magier bedrängt mit groteskem Riesenphallus Arthurs Mutter, die als Witwe einen Weg zurück ins Leben sucht und die besiegten Sachsen frieren vor den Ruinen ihrer ausgebombten Städte im Schnee. Durch den Kunstgriff dieser Rahmenhandlung gelingt es Bechtolf, die revuehaft-brüchige Struktur des Werks zu erhalten, die Einzelteile ernst zu nehmen und doch immer wieder einen ironischen Dreh für die durchaus auch nationalistische Erzählung zu finden.

"King Arthur" in Berlin - die Premiere in Bildern

Farbenreichtum und Melancholie

Bildquelle: © Ruth Walz Ko-Regisseur Julian Crouch ist für das Bühnenbild zuständig und zitiert sich munter durch die Epochen. Der Fallschirm des abgesprungenen Piloten wird zur Leinwand für die Projektion barocker Landschaftsbilder, in denen sich die kämpfenden Engländer verstecken, später flattert ein Amor mit Flügeln, Pfeil und Bogen durch die Lüfte, der direkt aus der Uraufführungsinzenierung 1691 stammen könnte. Trauer über Krieg, Tod und Zerstörung dämpfen Purcells militanten Nationalismus, was wiederum bestens zur Sichtweise des Dirigenten René Jacobs passt. Auch er betont mit der Akademie für Alte Musik Berlin die Originalität von Purcells Erfindungen, den Farbenreichtum und die Schattierungen der Melancholie, nicht den auftrumpfenden Gestus kriegerischer Pauken und Trompeten.

Verblüffend und berührend

Die Schauspieler, unter ihnen Hans-Michael Rehberg, Axel Wandtke und Meike Droste, fügen sich in die musikalische Struktur des Abends ein, die virtuosen Sänger, etwa Countertenor Benno Schachtner, die Sopranistinnen Annett Fritsch und Robin Johannsen und der Tenor Stephan Rügamer, spielen so überzeugend, dass ein immer wieder verblüffender, später auch berührender Abend entsteht, in dem das Kunststück gelingt, das Bruchstückhafte der Erzählweise zu betonen und doch einen überzeugenden Bogen vom Frühmittelalter bis in die Jetztzeit zu spannen. So erzählt Henry Purcell uns nicht nur von der großen Vergangenheit, sondern auch von der Gegenwart Großbritanniens, das nach der Brexit-Entscheidung in eine ungewisse Zukunft schaut.