Am 6. November 2021 feierte Rossinis "La Cenerentola" an der Semperoper Dresden Premiere. Damiano Michieletto inszenierte das "Aschenputtel" als Satire auf Karrieresucht und Geldgier: kurzweilig, aber nicht sonderlich böse. Dafür sorgte der Dirigent für reichlich Verwirrung. Eine Kritik von Peter Jungblut.
Wer die Menschen wirklich durchschauen will, der hält sich besser an Rossini als an Röntgenbilder. Das ist nicht nur wesentlich unterhaltsamer, da ist dann auch auf allen Aufnahmen die Seele mit drauf, und zwar gestochen scharf. Und deshalb findet der heiratswillige Prinz im "Aschenputtel", italienisch "La Cenerentola", auch die tatsächlich schönste aller Frauen, nämlich die mit dem besten Charakter. Alle anderen verstellen sich, schmeicheln und turteln, nur weil sie reich und berühmt werden wollen.
Also funktioniert diese Oper vor allem, wenn sie als Satire gezeigt wird, gerne auch bitterböse. Nun, in Dresden war der Abend eher "nett", wie eine Zuschauerin nach der Vorstellung lobte. Klar, das große Haus ist auf Touristen angewiesen, die mögen keine allzu grellen Deutungen. Und im Übrigen ist diese "Cenerentola" eine Koproduktion mit dem Théâtre des Champs-Élysées in Paris. Das dortige Publikum ist ähnlich konservativ wie das in der sächsischen Hauptstadt.
Es passt also, wenn Damiano Michieletto die Geschichte vom Aschenputtel professionell und kurzweilig, aber nie derb bebildert. Hier arbeitet sie in einer Art Kantine, die Bühnenbildner Paolo Fantin entworfen hatte, und ihre beiden Stiefschwestern lieben farbenfrohe Trikotagen, wie sie eher in sozialen Brennpunkten als in Villenvierteln zu sehen sind. Der Prinz logiert nicht im Schloss, sondern in einem Bauhaus-Juwel mit großen Fenstern, Ledergarnitur und schicker Bar. Er fährt eine noble bayerische Automarke, am Ende sogar in die Glaswand.
In ausgesprochen mildes Licht getaucht ist das alles auch deshalb, weil Michieletto einen Engel vom Himmel holt, den weisen Alidoro, der von Anfang bis Ende alles mit göttlichem Beistand regelt, so dass das Märchen buchstäblich wie in Watte gepackt wirkt – nett ist dafür wohl der richtige Ausdruck.
Ärgerlich war dagegen das Dirigat von Alessandro De Marchi, der immer wieder auf Autopilot schaltete und am Pult förmlich erstarrte. Dabei ist Rossini ein Meister der Beschleunigung, der rasanten Tempi, da hätten Funken sprühen müssen aus dem Orchestergraben. Die Sächsische Staatskapelle war dazu auch hörbar geneigt, doch De Marchi versuchte sie immer wieder auszubremsen, was zu größter Verwirrung führte – als ob er das Brems- und das Gaspedal ständig verwechseln würde.
Sendung: "Allegro" am 8. November 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK