Salomes Tanz ist ebenso berühmt wie gefürchtet. Die Schlüsselszene in der Oper von Richard Strauss stellt die Sängerinnen vor mindestens ebenso große Herausforderungen wie die Regisseure. Da lauern Orientklischees und verschämt erotische Gymnastikübungen. Bei Krzysztof Warlikowski an der Bayerischen Staatsoper in München wird ein Totentanz daraus.
Der Regisseur hat ein Problem mit der Hauptfigur. Irgendwie kann man Krzysztof Warlikowski ja verstehen: Salome, diese männermordende und dazu auch noch schlecht erzogene, nur leider unverschämt gutaussehende femme fatale – ist diese Figur nicht eine Ausgeburt männlicher Projektionen? Doch, klar, ist sie. Warlikowski findet das gestrig. Deshalb verschiebt er den Fokus: weg von Salome und ihrer perversen Lust, hin zu ihrer Umwelt. Und die ist jüdisch. Schließlich haben wir es mit einem biblischen Stoff zu tun.
Machen wir es also probehalber mit und lesen die Packungsbeilage. Mit Hilfe des Programmhefts lassen sich die vielen Filmzitate entschlüsseln, die sich mit jüdischer Identität und Holocaust auseinandersetzen. Man lernt dabei einiges über Filmgeschichte. Auch manche rätselhafte Szenen der Inszenierung versteht man. Nur das Stück versteht man dadurch keineswegs besser. Denn was bei diesem Gedankenexperiment herauskommt, ist, dass sich die Oper eigentlich um etwas anderes dreht. Nämlich – welche Überraschung – um die Hauptfigur und ihre männlichen Gegenspieler, um Geschlechterkampf, Sex und Tod.
Musikalisch war der Abend klasse. Kirill Petrenko holte aus dem Staatsorchester betörende Klangfarben heraus, legte das Nervengeflecht der Motive bloß, drang mit der sinnlichen Energie dieser Musik vom ersten bis zum letzten Takt unter die Haut. Wolfgang Koch muss den Jochanaan als alten Zausel spielen. Er singt kraftvoll, auch wenn ihm ein wenig das prophetische Charisma abgeht. Wunderbar dekadent ist der Herodes von Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, stimmlich mit großartiger Präsenz gezeichnet. Marlis Petersen singt die Salome entgegen dem Klischee eher verhalten. Auch wenn man sich in der Höhe manchmal mehr Leuchtkraft wünscht, ist ihre Gesamtleistung fantastisch: Sie gestaltet schauspielerisch und stimmlich mit einer solchen Intensität, dass sie ganz selbstverständlich im Fokus steht – als Hauptfigur, bei der die Fäden zusammenlaufen, szenisch und musikalisch. Ein sinnlich starkes, unmittelbar überzeugendes Gegengewicht zur konzeptlastigen Regie.
Sendung: "Allegro" am 28. Juni 2019, 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Bayerische Staatsoper
Premiere: 27. Juni 2019
Musikalische Leitung: Kirill Petrenko
Regie: Krzysztof Warlikowski
Am 6. Juli 2019 gibt es die "Salome" bei "Oper für Alle".
Weitere Informationen auf der Website der Bayerischen Staatsoper