Am 1. September starb Sebastian Hess an den Folgen eines Aneurysmas, wie nun aus dem Kreis seiner Familie bekannt wurde. Der Münchner Cellist wurde nur 50 Jahre alt. BR-KLASSIK-Redakteur Thorsten Preuß stand mit Hess in persönlichem Kontakt und erinnert sich an zahlreiche Begegnungen mit dem charismatischen Musiker.
Es war meine erste Amtshandlung: ein Konzert auf der Festung Marienberg hoch über den Dächern von Würzburg redaktionell zu betreuen. Mein Vorgänger hatte einen jungen Cellisten entdeckt, und bis heute ist mir im Gedächtnis, wie hingebungsvoll er Mendelssohns "Variations concertantes" spielte. Wie er die Melodien strömen ließ, die Augen schloss, wenn es intensiv wurde, mit seinem Cello zu einer untrennbaren Einheit zu verwachsen schien. Und mit welcher offenen, warmherzigen, unkomplizierten Freundlichkeit er mir nach dem Konzert begegnete. So lernte ich Sebastian Hess kennen.
Bis heute ist mir im Gedächtnis, wie hingebungsvoll er Mendelssohn spielte.
Der Cellist hatte damals schon eine hoffnungsvolle Solo-Karriere begonnen. Mit 15 Jahren studierte er bereits an der Münchner Musikhochschule und später bei der Cello-Legende William Pleeth in London. Er hatte im Londoner South Bank Center debütiert und erste Auftritte bei renommierten Festivals absolviert. Doch bei allen Erfolgen, die sich international rasch einstellten, blieb Sebastian über zwei Jahrzehnte lang dem Nürnberger BR-Studio eng verbunden. Fast jedes Jahr nahm er hier eine neue CD auf oder spielte Repertoirewerke wie Raritäten fürs BR-Archiv ein. Mit unserem Tonmeister Thilo Grahmann verstand er sich blind.
Der markante kahle Charakterkopf steckte immer voller Ideen, warb charismatisch für seine Projekte, die oft sehr spontan entstanden (und sich gelegentlich auch als Luftschlösser entpuppten), steckte an mit seiner Begeisterungsfähigkeit. Sehr bald wandte er sich dem Barockcello zu, auf dem er sich hörbar frei fühlte, flexibel im Ton. Aufführungspraktischer Dogmatismus lag ihm dabei fern, vieles entwickelte er aus dem intensiv erlebten Moment heraus. Einmal verblüffte er uns mit einem Vivaldi-Allegro, das unter seinen Händen wie ein Stück Rockmusik klang. Seine besondere Leidenschaft galt dem Barockkomponisten Giovanni Benedetto Platti, der in Würzburg gewirkt hatte und dessen Sonaten und Concerti Sebastian in der Musikaliensammlung Wiesentheid entdeckte. Das Platti-Revival der letzten Jahre ist vor allem sein Verdienst.
Schönheit war für den stets tipptopp gekleideten Gentleman ein Schlüsselbegriff.
Doch der Barock-Fan war zugleich ein Technik-Freak, begeisterte sich für die neuesten Smartphone-Modelle, die modernsten Audio-Anlagen, für Autos und Flugzeuge. Und im Herzen war Sebastian Hess wohl auch ein Romantiker. Schönheit war für den stets tipptopp gekleideten Gentleman ein Schlüsselbegriff. Wenn er diese Schönheit in der zeitgenössischen Musik fand, wurde er zu ihrem leidenschaftlichen Verfechter. Er schwärmte von der Schönheit in der Musik von Hans Werner Henze, er schwärmte von der Schönheit, die Henzes Alltag in Marino durchwirkte (wo Sebastian mit Henze gearbeitet und Wein getrunken hatte), und er hat Henzes "Adagio adagio" mit einer solch überirdischen Schönheit erfüllt, dass einem beim Hören fast die Tränen kommen.
Ungeheuer stolz war Sebastian, dass er für den spanischen König spielen durfte, auf den kostbaren Instrumenten aus dessen Sammlung. Er suchte auch die Nähe des Geldadels und schien manchmal in der Welt von Unternehmensberatern ebenso zuhause zu sein wie in der Klassikwelt. Dass der weltmännische Cellist auch eine labile Seite hatte, blieb kaum jemandem verborgen. Und vielleicht konnte er auch nur deshalb diese Intensität des Spiels entwickeln, die beispielsweise seine unlängst erschienene CD mit Konzerten mit Emanuel Moór auszeichnet. Oder seine Einspielung sämtlicher Cellowerke von Mikis Theodorakis, mit dem er in den letzten Jahren in engem Kontakt stand. Bei den Aufnahmen war er via Internet-Call mit dem Maestro in Athen verbunden. Und er hat ihn auch gern besucht in dessen Haus mit Blick auf die Akropolis.
Ende August rief mich Sebastian an, um mir mitzuteilen, dass Theodorakis im Sterben liege. Traurig sei das zwar schon, einerseits, sagte er; andererseits aber sei 96 Jahre doch ein stolzes Alter – "wenn wir das erreichen, können wir von Glück sprechen!" Das Schicksal hat es ihm nicht vergönnt. Wenige Tage nach unserem Telefonat ist Sebastian Hess gerade einmal 50-jährig an den Folgen eines Aneurysmas gestorben. Mikis Theodorakis folgte ihm 24 Stunden später nach. Schwer zu fassen, dass Sebastians Stimme, so oft voller Optimismus und Tatendrang, für immer verstummt ist. Seine Musik wird bleiben.
BR-KLASSIK erinnert mit der Sondersendung "In memoriam Sebastian Hess" an den verstorbenen Münchner Cellisten: am 12. September ab 22:05 Uhr auf BR-KLASSIK.
Sendung: "Allegro" am 9. September 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK