Räuspern ist gesund. Wer nicht singen kann, ist unmusikalisch. Opern-Sopranistinnen müssen dick sein, um gut zu klingen? – Es gibt viele Mythen, Halb- und Unwahrheiten über die Stimme. Wir haben die Fakten.
Jeder kennt das unangenehm drückende Gefühl vom "Frosch" im Hals. Die Reaktion ist oft: vor dem Singen oder Sprechen räuspern, um alles Störende zu entfernen. Keine gute Idee, sagen die Stimmexperten. Denn durch das Räuspern würden die Stimmlippen gereizt, was zu einer noch größeren Schleimproduktion führe – wer sich dann weiterhin räuspere, lande in einem Teufelskreis, der die Stimme schädige. "Deshalb: Einfach den Frosch mitsingen oder -sprechen lassen", sagt Gesangspädagogin Susanne Eisch. Von außen würde man den "Frosch" sowieso kaum hören. Und wenn gar nichts mehr hilft: "Einmal richtig husten, weg mit dem Dreck, und dann weitermachen."
Viele denken: "Wer viel reinbläst, kriegt viel raus", so wie bei der Trompete oder der Blockflöte. Im ersten Moment stimmt das auch: Zuerst wird die Stimme lauter, das kennt jeder zum Beispiel vom Schreien. Bei Lehrern, die vor einer lauten Klasse stehen, können Probleme mit der Stimme entstehen, wenn sie zu viel Druck ausüben. Susanne Eisch sagt: "Statt mehr Druck beim Sprechen aufzuwenden, sollten sie sich aufrecht hinstellen und gut einatmen. Das stimuliert die Stimmlippe und führt zu einem effizienteren Weg Lautstärke zu produzieren." Gutes Training kräftigt die Stimmlippen, also den Bereich in unserem Hals, in dem die Stimme durch Schwingung entsteht. Wenn diese gut trainiert sind, entsteht ein lauter, tragfähiger Klang - auch ohne Druck.
Die Experten sagen "jein": Viele verstehen unter "Stütze" das Anspannen des Bauches. Angeblich soll das die Stimme unterstützen. Erhöhte Anspannung führe aber zu einer Verschließung des Vokaltraktes – also genau da, wo ja der Klang verstärkt wird. "Stütze suggeriert für mich Starrheit. Was man aber braucht, ist flexible Körperspannung", sagt Holger Hettinger. Susanne Eisch ergänzt, dass man mit einem flexiblen, aufgerichteten Körper und entspannter und tiefer Einatmung die Stimme viel besser unterstützen könne.
Tiefes Einatmen wird oft mit der Vorstellung des Atmens "in den Bauch" verknüpft, beim Singen wie beim Yoga. Ein Irrtum, sagt Susanne Eisch, die die Grundlage dafür in der Vergangenheit sieht: Da war es oft so, dass Sängerinnen und Sänger aufgrund der Mode sehr in ihrer Atmung eingeschränkt waren. Als dann Veränderungen in Lebensstil und Mode einsetzten, bemerkten die Sänger, dass es sich gut anfühlt, wenn sich der Bauch beim Singen mitbewegt – "Bauchatmung" war ab da das Zauberwort. Das sei allerdings übertrieben: "Der Bauch darf sich mitbewegen, aber die Lunge sitzt immer noch im Brustkorb", sagt Holger Hettinger. Deswegen geht der tiefe Atem zwar immer in die Lunge und erweitert den Brustkorb, aber es sind auch andere Bereiche wie zum Beispiel der Bauch beteiligt.
Manchen wird schon in der Kindheit eingeredet, sie wären unmusikalisch, weil sie nicht alle Töne treffen. "Da werden große Wunden geschlagen", sagt Susanne Eisch. Solche Menschen würden sich dann auch im Erwachsenenalter nicht mehr trauen zu singen. Aber: "Unsere Stimmapparate unterscheiden sich nicht." Worin sich Menschen unterscheiden ist aber, wie gut sie die Vorstellung eines Tones auch stimmlich umsetzen können. "Wer Anleitung bekommt und viel singt, kann Singen lernen und dabei Freude an der Musik empfinden."
Gutes Singen und Sprechen fängt schon vor dem Einatmen an. Und hört auch nicht mit dem letzten Ton auf: "Gelöstes Sprechen und Singen führt zu einem positiven Selbsterlebnis", da ist sich Susanne Eisch sicher. Also tief Luft holen, sich den Spaß am Singen nicht verderben lassen und vor allem: nett sein zur Stimme.
Sendung: "Leporello" am 16. April 2019 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK