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Simon Rattles letzte Berliner Konzerte "Das Orchester muss sich immer wieder erneuern"

1987 stand ein 32 Jahre junger Lockenkopf aus Liverpool das allererste Mal vor den Berliner Philharmonikern, um Mahlers 6. Symphonie zu dirigieren. Simon Rattle war so aufgeregt, dass er beschloss, bis zur Pause kein Wort zu sagen, sondern nur die Musik klingen zu lassen. Konzertmeister Daniel Stabrawa hob den Geigenbogen – und Simon Rattle war es, als habe er seine eigene Stimme entdeckt. "Ich werde niemals vergessen, wie ich damals vor dem Orchester stand", sagt er heute.

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Rattle erzählt gern, wie viele dunkle Haare er und Stabrawa damals hatten – alles voller Locken. So viele, dass der Friseur kommen und sie für das Foto auf dem CD-Cover ausdünnen musste. Seine Mutter wäre so glücklich gewesen, wenn sie dieses Foto hätte sehen können. "Sie hätte gesagt: Endlich siehst du respektabel aus, Simon."

Berlin - ein spezielles Pflaster

Wenn Simon Rattle in dieser Woche das letzte Mal als Chef dirigiert, geht eine Epoche zu Ende: für das Orchester, das Publikum und für ihn selbst. Seit 16 Jahren ist er in Berlin, in Zehlendorf lebt er mit seiner Familie – der Sängerin Magdalena Kožená und den gemeinsamen Kindern. Berlin hat ihn so geprägt wie er das Orchester. Die Stadt sei ein spezielles Pflaster, erläutert Rattle, sie habe "Ecken und Kanten". Er sei sich nicht sicher, ob das Orchester sich in einer anderen Stadt "derart selbstbestimmt" hätte aufstellen können. Simon Rattle verschweigt nicht die Krisen in seiner Zeit als Chefdirigent – so auch in dem Film "Echos einer Ära, Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker", den der rbb produziert hat. Er sei, so befinden manche der Berliner Alphamusiker, einfach zu nett gewesen, zu britisch; Rattle habe nie mit der Partitur aufs Pult gehauen. Simon Rattle selbst habe deshalb die letzte Saison besonders genossen, sagt er im Film: "Wir sind hier am Ende meiner Amtszeit. Da ist es für beide Seiten viel einfacher, etwas ohne langen Streit vorzuschlagen. Das ist gut so: Denn so haben wir vielleicht endlich zusammengefunden – jetzt, wo ich gehe."

Konkurrenz unter den Musikern

Sir Simon Rattle | Bildquelle: picture-alliance/dpa "Diesen Job kann man heute nicht mehr über einen sehr langen Zeitraum machen", bilanziert Simon Rattle. "Das Orchester muss sich immer wieder erneuern. Es gibt so viel Konkurrenz und Aggression unter den Musikern selbst. Das ist nicht immer gesund, aber so funktioniert das Orchester seit Jahren. Das wird sich nicht ändern." Und oft, so Rattle, entstehen daraus ganz außerordentliche Ergebnisse. "Wenn ich 80 bin, ist meine jüngste Tochter 21. Ich will dann unbedingt noch da sein", so Rattle. "Es kommt irgendwann die Zeit, da muss du dich selbst – und auch die Musik – schützen." Bei den Berliner Philharmonikern mitzuarbeiten – ob als Dirigent, Musiker, hinter der Bühne oder in der Verwaltung – ist kein leichter Job. Aber das Orchester sei "ein Juwel unserer Kultur", betont er. Für ihn seien die letzten Jahre eine unvergessene Reise gewesen, er habe sehr viel über sich gelernt, und er sei froh über das, was entstanden ist. Einerseits, so resümiert er, ist er absolut traurig, kein Chefdirigent der Berliner mehr zu sein, andererseits aber außerordentlich glücklich - eine Position zwischen zwei Extremen.

Begeistert vom Nachfolger Petrenko

Simon Rattle hat als Chefdirigent mit seinen Mahler-Interpretationen Philharmonikergeschichte geschrieben. Auch mit Strawinsky oder mit den von Peter Sellars szenisch eingerichteten Bach-Passionen. Und natürlich mit den Education-Projekten, allen voran "Rhythm Is It". In dieser Woche geht die Ära Rattle zu Ende. In der kommenden Saison gibt es keinen Chef, bevor dann Kirill Petrenko sein Amt antritt. Er sei begeistert über diesen Nachfolger, sagt Rattle. Petrenko sei nicht nur ein großer Dirigent, sondern ein denkender Mensch, der die Philharmoniker als außerordentliche Institution wirklich weiterbringen könne. "Ich denke, dass ich ein Zuhörer sein werde, der seine Konzerte in den kommenden Jahren genießt", sagt Rattle.

Sendung: "Allegro" am 20. Juni 2018 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK