Am 1. Dezember 2019 starb Mariss Jansons, der langjährige Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks. Sir Simon Rattle erinnert sich an seinen großen Kollegen – und dessen beeindruckende Bescheidenheit.
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BR-KLASSIK: Wenn Sie an Mariss Jansons denken, was vermissen Sie dann am meisten?
Sir Simon Rattle: Wenn ich an Auftritte von Mariss zurückdenke, dann sehe ich die außergewöhnlichen Stücke und Komponisten, und mir wird dann immer wieder bewusst, dass Mariss einen Weg gefunden hat, in der Musik zu verschwinden. Und damit meine ich nicht, dass man keine Persönlichkeit spüren konnte – es war eher so, dass man den Charakter der Komponisten selbst hören konnte. Mariss Jansons diente wirklich der Musik. Und das Ego, das jeder Dirigent nunmal hat, löste sich darin auf.
BR-KLASSIK: Haben Sie dafür ein Beispiel?
BR-KLASSIK: Wenn Sie selbst jetzt vor dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks stehen – haben Sie da schon manchmal gedacht: Wenn er mich jetzt beobachten könnte, was würde er tun?
Sir Simon Rattle: Nein, solche Momente hatte ich zum Glück nicht. Aber natürlich hinterlässt ein Chefdirigent seinen Fingerabdruck beim Orchester. Das war auch so bei Rafael Kubelik, den man noch spüren kann. Aber sie vermissen Mariss Jansons in München sehr, was wenig verwundert, denn es war wirklich eine symbiotische Beziehung.
BR-KLASSIK: Wie kann man diese Fingerabdrücke der ehemaligen Dirigenten hören?
Sir Simon Rattle: Kubelik verband auf außergewöhnliche Weise Menschlichkeit und Charakter, was man im Orchester heute noch spürt. Er formte den Klangkörper mit seiner Persönlichkeit. Was Mariss hinterlässt, ist sein unglaubliches Gefühl für Veredelung und die unbedingte Konzentration auf die Schönheit eines runden Klangs. Das spürt man in jedem Moment, was sehr bewegend ist. Wenn ich dann das Orchester dirigiere, kann ich spüren, wie mein Freund unter uns ist.
Sendung: "Allegro" am 1. Dezember 2020 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK