Sir Simon Rattle setzt mit der "Walküre" aus Richard Wagners "Ring des Nibelungen" seinen "Ring" mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks fort. 2015 bereits stand "Rheingold" auf dem Programm. Als gebürtiger Engländer sieht er Parallelen zum Brexit und freut sich über die komischen Seiten von Wagners Sprache. Ein Interview über das Böse in Wagner, die Revolution im "Ring" und ein Trauma durch Alliterationen.
BR-KLASSIK: Herr Rattle, wie man weiß, war Richard Wagner nicht unbedingt eine der sympathischsten und politisch segensreichsten Figuren der Musikgeschichte. Beeinflusst das in irgendeiner Weise Ihre Beziehung zu dieser faszinierenden Musik?
Simon Rattle: Nicht alle Komponisten, nicht alle Künstler sind Heilige. Wagner war ein ziemlich schrecklicher Mensch. Aber er war nicht Carlo Gesualdo: Anders als der hat er niemanden ermordet. Wagner ist eine schwierige Figur, denn so viele seiner Ideen und Absichten und auch sein Sendungsbewusstsein sind wenig sympathisch. Manchmal denkt man, man sollte über diese Person lieber gar nicht so viel lesen und wissen. Lieber einfach nur die Musik spielen… Er konnte sich nicht anders helfen als durch diese wirklich transzendente Musik. Musik, die so oft eine unglaubliche Wärme und Humanität ausstrahlt. Und das muss ja auch irgendwo in dieser sehr komplizierten Persönlichkeit gesteckt haben! Aber er gehört eben nicht zu den Komponisten, zu denen man aufschaut mit dem Gefühl: Was muss das für ein wundervoller Mensch gewesen sein! Wagner fasziniert – aber so, wie die Schlange den Hasen fasziniert.
BR-KLASSIK: Und Sie befinden sich demnach in der Position des Hasen, Herr Rattle?
Simon Rattle: (lacht) Immer!
BR-KLASSIK: Auf der anderen Seite muss man sich ja mit den Inhalten beschäftigen, denn Wagner war es so wichtig, dass er nicht einfach nur Unterhaltung macht, sondern Kunst, die in die Gesellschaft eingreift. Er wollte ja die Revolution mit seinem "Ring" voranbringen. Kann man diesen politischen Kontext denn weglassen?
Simon Rattle: Wagners politischen Sympathien waren ziemlich planlos und verzettelt. Und als er die Musik zum Ring beendet hatte, dachte er ganz anders als früher. Zu der Zeit, als er den Text schrieb, war er noch viel optimistischer. Man vergisst leicht, wie groß die zeitliche Distanz zwischen dem Libretto und der Komposition war. Für mich ist ganz außerordentlich, wie hier ein mehr oder weniger autodidaktisch ausgebildeter Komponist die Geschichte des modernen Orchesters völlig neu schreibt. Und das entwickelt sich in jedem der vier Abende des Rings weiter. Von Mendelssohn, Schumann und Berlioz bewegt er sich hin zum Orchester der Moderne. Das ist einfach atemberaubend, völlig ohne jeden Vergleich. Das ist die eigentliche Revolution!
BR-KLASSIK: Beim Umgang mit Wagners Text gibt es ja unterschiedliche Traditionen: Manchmal wurden die Konsonanten, die Alliterationen, richtig gespuckt, weil es hieß, die Textverständlichkeit geht über alles. Was ist Ihnen wichtiger – die musikalische Linie oder der Text, die Botschaft, das Drama?
BR-KLASSIK: Als Engländer empfinden Sie Wagners Sprache schon auch als komisch?
Simon Rattle: Natürlich! Ich verstehe zwar jedes Wort und kenne die Bedeutung, aber ich spreche Deutsch eben nicht völlig flüssig. Und deshalb berühren mich die komischen und aus der Zeit gefallenen Seiten von Wagners Sprache nicht ganz so stark wie einen Deutschen. Vielleicht ist dieser Abstand ganz gut …
Wagner war sicher mindestens ebenso sehr Alberich wie Wotan.
BR-KLASSIK: Wagner hat diese Mischung aus Abstoßung und Anziehung, die Sie sehr eindrucksvoll beschrieben haben. Macht ihn das vielleicht sogar auf eine gewisse Art diabolisch interessant?
Simon Rattle: Man kann ihn darauf natürlich nicht reduzieren. Aber Wagner war sicher mindestens ebenso sehr Alberich wie Wotan. Beides war Teil seiner Persönlichkeit.
BR-KLASSIK: In der Walküre gibt es diese faszinierende Beziehung zwischen Vater und Tochter, dann die Bedrohung durch Alberich, und natürlich die Liebe zwischen den Zwillingen Siegmund und Sieglinde – wieder die Verbindung von verbotenen, tabuisierten und anziehenden Dingen. Welcher dieser Handlungsstränge fasziniert Sie am meisten?
Simon Rattle: Wagner hatte ganz offenbar echte Probleme in seiner Beziehung zum anderen Geschlecht. Sagen wir es doch offen. Und diese Komplikationen spürt man in jedem Takt der Musik. Aber die berührendste Liebeserklärung in all seinen Opern kommt von Wotan gegenüber seiner Tochter Brünnhilde am Schluss des dritten Akts der Walküre. Dieser Liebeserklärung glaube ich am meisten. Und das ist interessant, nicht wahr?
BR-KLASSIK: Absolut, es handelt sich um eine Vater-Tochter-Beziehung!
Simon Rattle: Brünnhilde versteht, was Wotan in seiner tiefsten Seele wünscht. Aber für mich ist hier der Ring eigentlich schon vorbei. Kurz vor Frickas letzten Worten, wo sie sagt, geh und schau nach dem Vater. Die Musik kurz davor drückt eigentlich schon das Ende der Welt aus. Und es ist völlig klar, dass es keinen Ausweg mehr gibt. Diese 12 oder 15 Takte erzählen die gesamte Geschichte von Wotans Hoffnungslosigkeit und Schwäche. Sein Abschied gilt deshalb nicht nur Brünnhilde. Er verabschiedet sich auch von all seinen Hoffnungen. Und er hat es in Fricka mit einer hochintelligenten Frau zu tun, die ihm schlicht seinen Bullshit nicht mehr abnimmt.
BR-KLASSIK: Er hat sich verstrickt, was seine Macht sichert, behindert ihn zugleich. Schon im Rheingold sagt ja Fasolt zu Wotan: Was Du bist, bist Du durch Verträge …
Simon Rattle: Damit könnten wir den ganzen Brexit aufrollen …
BR-KLASSIK: Unglaublich aktuell, diese Thematik, oder?
Simon Rattle: Ich weiß nicht, ob Wotan je auf die Idee gekommen wäre, sich selbst so viel Schaden und Schmerz zuzufügen, wie wir das gerade uns selbst antun. Ja, interessante Zeiten. Diese Situation aus Macht und Machtlosigkeit, die Grenzen dessen, was möglich und realistisch ist. Aber der Ring wird immer Beziehungen haben zu dem, was gerade politisch passiert.
BR-KLASSIK: Wie geht es Ihnen denn als Musiker in Zeiten des Brexit?
Simon Rattle: Ich bin so glücklich, dass wir bald mit dem London Symphony Orchestra in München spielen werden, im Mai, für die musica viva. Aber hoffentlich klappt das dann auch! Wir haben ja noch nicht mal die leiseste Idee, ob wir wegen des Brexit Zollscheine für die Instrumente brauchen werden. Das ist wirklich sehr ernst. Wir spielen am Abend zuvor in London. Und wenn wir durch den Zoll müssen, dann wird der Transport 15 Stunden dauern statt sieben. Und wir werden nicht pünktlich hier sein. Niemand weiß das. Das ist nur ein Staubkorn im Universum. Niemand hat Antworten auf solche Fragen. Das ist in keiner Weise lustig, das ist bizarr! Kafka ist harmlos dagegen.
Das Gespräch führte Bernhard Neuhoff für BR-KLASSIK.
Richard Wagner:
"Die Walküre"
Freitag, 8. Februar 2019
Sonntag, 10. Februar 2019
München, Herkulessaal der Residenz
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Sir Simon Rattle
Sendung: "Leporello" am 5. Februar 2019 ab 16:05 Uhr in BR-KLASSIK.
BR-KLASSIK überträgt die "Walküre" unter der Leitung von Simon Rattle am Freitag, 08.02.2019 ab 17:05 Uhr live im Radio.