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Kritik: Sonya Yoncheva bei den Salzburger Festspielen Wiedergeburt mit Originalklang

"Renaissance" nannte Sonya Yoncheva ihr Programm im Rahmen der Salzburger Festspiele selbst. Nicht nur, weil sie mit der Capella Mediterranea unter der Leitung von Leonardo García Alarcón hauptsächlich Werke aus dieser Epoche sang. Sondern auch, weil sie die Wiedergeburt des Kulturlebens deutlich machen wollte. So wurde es ein triumphaler Nachmittag im Haus für Mozart.

Bildquelle: © SF / Marco Borrelli

Sonya Yoncheva ist eine Art stimmliches Chamäleon. Sie kann die verschiedenen musikalischen Stile quer durch die Jahrhunderte wie verschiedenfarbige Kleider anlegen. Und doch bleibt sie im Kern immer sie selbst. Nach schweren Verdi– und Puccinirollen, wie der Elisabetta in "Don Carlo" oder der Tosca, kehrt sie nun nach einer Babypause quasi zurück zu ihren Wurzeln. Denn ihre Karriere startete Yoncheva vor allem mit (vor-)barocker Musik. Die Bandbreite an Farben und Schattierungen, die sie dabei – oft auf einem Hocker in der Mitte der Musiker*innen sitzend – zeigt, ist im Wortsinn phänomenal. In "Queste lagrime e sospiri" von Alessandro Stradella fühlt man sich an die Gruberova in ihren besten Zeiten erinnert. Yonchevas Töne schweben im Raum. Es ist kaum auszumachen, wo sie herkommen. Völlig ansatzlos lässt sie diese entstehen, mit fast geschlossenem Mund, mehr klingend als singend.

Opernhafte Liedgestaltung

Sopranistin Sonya Yoncheva mit Cappella Mediterranea bei den Salzburger Festspielen 2020. | Bildquelle: © SF / Marco Borrelli "The Silver Swan" von Orlando Gibbons gestaltet sie so intim wie ein Kunstlied. Sie kostet fast zärtlich den Text aus und setzt ihn ganz natürlich auf die musikalischen Phrasen. In "S’apre la tomba" umschmiegt sie einen mit sanfter stimmlicher Wärme, wie in einem Wiegenlied. Auch wenn Yoncheva in Purcells "When I am laid in Earth" in der Mezzavoce–Höhe minimale Probleme hat, zeigt sie gerade auch in dieser Arie ihre enorme Wandlungsfähigkeit.  Ob verhangener, fast rauchiger Klang, Obertonspielereien mit einer Mischung aus Kopf– und Bruststimme, opernhafte Opulenz, sehr gerade oder gehaucht gesungene Passagen: Yoncheva beherrscht sämtliche Ausdrucksmöglichkeiten. In John Dowlands "Come again Sweet love" findet sie für jedes Verb eine eigene Farbe.

Von Barock bis ABBA

Weil sie ihre Stimme so instrumental führt, kann sie sich außerdem jederzeit an den Klang der Capella Mediterranea anpassen. Die zeigen nicht nur in den Instrumentalstücken, wie der "Tarantela" von Murcia/Huete, dass sie ein Originalklangensemble der Spitzenklasse sind. Zum Höhepunkt gerät "Zableiano mi agunce", wohl eine Art Volkslied aus Yonchevas bulgarischer Heimat. Mucksmäuschenstill ist es im Saal, während Yoncheva mit geschlossenen Augen all ihre Kunst auffährt. Jede der melismatischen, an die Gesänge arabischer Wüstenvölker erinnernden Linien singt sie so individuell, so tief empfunden und so echt, dass man sich dem entstehenden Zauber nicht entziehen kann. Yoncheva selbst kann im Anschluss die Tränen nicht zurückhalten. Es scheint ihr ein Herzensanliegen gewesen zu sein. So wie der Brückenschlag zwischen den Epochen. Drum singt sie als Zugabe "Like an Angel" von ABBA. Auch mal interessant, so im Barock–Stil. Das Publikum feiert enthusiastisch, die Diva ist glücklich: so geht Wiedergeburt!

Konzertübertragungen der Salzburger Festspiele im Radio

BR-KLASSIK überträgt Konzert- und Opernhighlights der diesjährigen Salzburger Festspiele. Mehr Informationen finden Sie hier.

Sendung: "Leporello" am 14. August 2020 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK