Virtual-Reality-Brille, Künstliche Intelligenz und Experimentieren mit neuen Medien – um die digitale Entwicklung auf seinen Bühnen voranzutreiben, hat das Staatstheater Augsburg einen neuen Posten geschaffen. "Projektleitung für Digitale Entwicklung" – klingt sperrig, verschafft dem Haus aber in Sachen Digitales eine Vorreiter-Rolle im deutschsprachigen Raum.
Die Zeit während des Corona-Shutdowns hat das Staatstheater Augsburg für die Entwicklung seiner Digital-Sparte genutzt – und neue Ästhetik-Arten ausprobiert. Mit dem Stück "Shifting perspective" entführten Augsburger Tänzerinnen und Tänzer das daheim sitzende Publikum mit Hilfe einer VR-Brille in virtuelle Welten, inklusive 360-Grad-Perspektive. Zur Eröffnung der Saison 2020/21 soll im Oktober dann erstmals auch eine Bühnen-Inszenierung um eine virtuelle Dimension erweitert werden. Bei "Orfeo ed Euridice" werden die Augsburger Zuschauer mittels VR-Brille in die Unterwelt abtauchen und die Perspektive von Orfeo so unmittelbar erleben.
Um solche innovativen Entwicklungen am Haus zu fördern und voranzutreiben, hat das Augsburger Staatstheater als erstes Theater im deutschsprachigen Raum einen neuen Posten geschaffen: Die gebürtige Berlinerin Tina Lorenz wird das Team um Staatsintendant André Bücker ab der kommenden Spielzeit als Projektleiterin für Digitale Entwicklung unterstützen. Lorenz, die im "Chaos Computer Club" sozialisiert wurde – ursprünglich einem Hacker-Verein, der sich inzwischen zu einer maßgebenden Nichtregierungsorganisation in allen Fragen der Computersicherheit entwickelt hat – verfügt über breite Expertise in Sachen Digitales. Als studierte Theaterwissenschaftlerin und praktizierende Dramaturgin ist sie ebenso am Theater zu Hause.
Wir wollen als Theater ein Raum sein, in dem man aktuelle Diskurse thematisiert.
"Wir leben im 21. Jahrhundert, die Digitalisierung ist gesamtgesellschaftlich ein Thema, an dem man nicht mehr vorbeikommt", sagt Tina Lorenz. In ihrer Funktion möchte sie dem Theaterpublikum möglichst spannende Geschichten bieten – mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. VR-Brille, Verknüpfung von Liveperformance mit virtuellen Welten, Interaktivität stehen unter anderem auf ihrer Agenda. Dabei könne das Digitale mal im Fokus stehen, mal auch nur als Hilfsmittel dienen, sagt sie. Denn schließlich hätte das Theater schon immer "eine Liebessaffäre mit der Technik. Doch das ist ein bisschen in Vergessenheit geraten in den letzten 100 Jahren."
Momentan entsteht am Staatstheater Augsburg eine Produktion, bei der das Publikum während der Vorstellung aktiv eingebunden werden soll. "Die Leute können dann selbst Verhöre durchführen, sie sollen selbst einen Kriminalfall lösen“, erklärt Tina Lorenz. Das Ganze bewegt sich in einer Grauzone zwischen Computerspielen, Performance, klassischem Theater und Film – immer verbunden mit einem Live-Element. Die Zielgruppe möchte Tina Lorenz dabei gar nicht eingrenzen: "VR-Theater bzw. Theater im Digitalen Raum ist für jede Zielgruppe gedacht", auch 70-Jährige würden davon profitieren. "Das ist nicht nur etwas für junge Leute."
Ich halte das Theaterpublikum für sehr neugierig und daran interessiert, neue Sachen auszuprobieren.
Welche Rolle spielen Kulturinstitutionen für die digitale Gesellschaft der Zukunft? Wie können Museen, Theater, Konzert- und Opernhäuser auf die technologischen Innovationen reagieren? Mit diesen Fragen beschäftigt sich aktuell auch die Politik. Die Kulturstiftung des Bundes fördert dieses Jahr mit dem Fonds Digital Projekte, die das Digitale stärker in die Arbeitsweisen von Kulturinstitutionen einbinden. Mit einem Fördervolumen von rund 13 Millionen Euro werden bundesweit 28 Museen, fünf Theater und zwei Opernhäuser unterstützt, darunter die Deutsche Oper am Rhein und die Komische Oper Berlin. Für August 2020 hat die Komische Oper im Verbund mit dem Berliner Ensemble eine ähnliche Stelle, wie das Theater Augsburg sie schon hat, ausgeschrieben: Ein Projektleiter Digitale Transformation soll dann die Digitalisierung der beiden Kultureinrichtungen vorantreiben.
Sendung: "Leporello" am 15. Juli 2020 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK