Fast hätte Corona auch diesen "Ring" zerschlagen. Doch während das Bayreuther Festspielhaus geschlossen blieb, trotzte das Team an der Deutschen Oper Berlin der Pandemie. Den gesamten "Ring" von Richard Wagner will Regisseur Stefan Herheim hier auf die Bühne bringen. Da ist Flexibilität gefragt. Für die "Walküre" kehrt man erstmals ins Haus zurück. In wenigen Wochen ist Premiere, momentan wird geprobt. Und das unter ganz besonderen Umständen.
Sein Tag beginne derzeit mit Gurgeln, erzählt der Regisseur Stefan Herheim zu Beginn des Gesprächs. Aber weder ginge es darum die Stimme zu ölen, noch darum, den Rachen zu reinigen. Gegurgelt wird für die Gesundheit: "Wir gurgeln nach dem Aufstehen und spucken in ein Glas. Das wird dann von einem Boten abgeholt und ins Labor gebracht. Und am Nachmittag wissen wir, ob die Probe stattfinden kann." So einfach, so aufwendig. Und ganz billig sind die täglichen Coronatests für das Team auch nicht. Allein achtzig Orchestermusiker werden bei der Premiere am 27. September im Graben sitzen. Dazu kommen noch die Solisten, das Regieteam und das Bühnenpersonal. Glücklicherweise habe man einen privaten Sponsor gefunden, der die Kosten übernimmt, so Herheim.
Beim Sicherheitskonzept habe man sich ein Beispiel an den Salzburger Festspielen genommen, erzählt der Regisseur weiter. Die Vorteile lägen auf der Hand: Weder Masken- noch Abstandspflichten müssten die Beteiligten auf der Bühne einhalten. So sei, trotz Corona, eine relativ normale Probenarbeit garantiert. Und eine Inszenierung, in der die pandemische Realität keinerlei Spuren hinterlässt.
Das ist ja das Gute an den Tests, dass wir uns ganz in die Arbeit stürzen können.
Man könnte die Sache freilich auch umdrehen. Ein bisschen Dialektik schadet ja nicht im Hegeljahr: Dass sich der Anspruch der Kunst nicht erfüllt hat, zeigt gerade nicht, dass sie obsolet, sondern wie nötig sie nach wie vor ist. Ein bisschen auf Systemrelevanz insistieren – auch das kann nicht schaden, angesichts der prekären Situation, in der sich Herheim zufolge der Kulturbetrieb dieser Tage befindet: "Ich glaube, der Mensch ist sehr anpassungsfähig. Und das ist in gewisser Hinsicht auch das, was uns Sorgen macht: dass sich das Publikum daran gewöhnt, dass es keine Kunst mehr gibt; dass es die Notwendigkeit nicht mehr spürt, ins Theater zu kommen."
Das ist das, was uns Sorgen macht: dass sich das Publikum daran gewöhnt, dass es keine Kunst mehr gibt.
Umso wichtiger also, dass die Premiere der "Walküre" auch tatsächlich stattfindet. Die Motivation aller Mitwirkenden sei auf jeden Fall riesengroß, versichert der Regisseur. Auf die Frage, für wie wahrscheinlich er deren Zustandekommen halte, antwortet Herheim schmunzelnd – und mit einem erneuten Verweis auf die Handlung des "Rings". "Der 'Ring' endet ja ziemlich offen. Zwar geht die Götterwelt unter. Und man steht vor der Aufgabe einer totalen Neubestimmung des Seins. Aber die Hoffnung überlebt. Und das prägt auch eigentlich unsere Herangehensweise jetzt."
Die Zukunft ist völlig offen, aber ohne Hoffnung kommen wir einfach nicht weiter.
Sendung: "Leporello" am 25. August 2020 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK