Am Broadway ist der Texter und Komponist Stephen Sondheim seit Jahrzehnten die unumstrittene Instanz in Sachen Musiktheater. Zum Bühnen-Repertoire gehören seine Stücke auch im deutschsprachigen Raum schon länger, aber erst durch die Verfilmungen der Musicals "Sweeney Todd" und "Into the Woods" mit Stars wie Johnny Depp oder Meryl Streep sind sie auch hierzulande einem größeren Publikum bekannt geworden. Am Freitag ist Stephen Sondheim im Alter von 91 Jahren gestorben.
Stephen Sondheim liebte Kreuzworträtsel. Kryptische, bei denen die Hinweise selbst schon Rätel sind. Das der New York Times löste er angeblich in einer halben Stunde. Weltrekord. In den späten 1960ern entwarf Sondheim sogar selbst welche für das damals noch junge New York Magazine. Für Kreuzworträtsel, sagte Sondheim, gelte das gleiche wie für die Kunst: es sei eine Anstrenung, Ordnung ins Chaos zu bringen.
Ich interessiere mich fürs Theater, weil ich mich für die Kommunikation mit dem Publikum interessiere
Sondheims Songtexte sind artifizielle Gebilde mit (fast) ausschließlich reinen Reimen, Binnenreimen, komplizierten Versfomen, Alliterationen, ausgetüftelten Klangverbindungen und – bezügen. Aber nie zum Selbstzweck, sondern um die Figur zu charakterisieren, der die Texte in der Musik gewidmet sind. Manchmal schoss Sondheim beim Austüfteln über das Ziel hinaus: Eine Zeile wie die der Maria in der West Side Story: „I feel charming. Oh, so charming. It’s alarming how charming I feel“ lenke die Aufmerksamkeit mehr auf den Autor als auf die Figur, bekannte er selbstkritisch. Die Maria sei ein ungebildetes Mädchen aus Puerto Rico, das nicht einmal richtig Englisch kann, geschweige denn artifiziell sprechen.
Stephen Sondheim wollte Songtexte und Musik schreiben. Deshalb war er auch nicht sehr angetan, als man ihm anbot, Songtexte für eine Musical-Version von Romeo und Julia zu schreiben. Aber sein Mentor Oscar Hammerstein redete ihm ins Gewissen: die Gelegenheit mit Berühmtheiten wie Leonard Bernstein, dem Librettisten Arthur Lawrence und dem Choreographen Jerome Robbins zu arbeiten, würde sich so schnell nicht wieder ergeben. Sondheim nahm an und aus der Bearbeitung von Romeo und Julia wurde die West Side Story.
Die Stoffe, die Sondheim im Laufe seiner 65-jährigen Karriere wählte, waren nie massentaugliches Familien-Entertainment. Ihn interessierten vielmehr gesellschaftliche Themen wie Zweierbeziehung und Ehe in "Company", amerikanische Themen wie in "Assassins", wo es um Männer und Frauen geht, die versucht haben, US-Präsidenten zu ermorden, oder auch emotionale, psychologische Themen wie Liebe, Obsession und Manipulation in "Passion".
Ich bin zu alt, um viel zu verreisen. Was sollte ich also anderes tun als zu schreiben?
Noch vor einer Woche hatte Stephen Sondheim der New York Times ein Interview gegeben, in seinem Landhaus in Roxbury, Connecticut, um über seine aktuellen Shows zu sprechen. Beschäftigt mit seiner Arbeit war er noch im hohen Alter. Sein Musical "Assassins" wird gerade von der Classic Stage Company in New York gegeben und er arbeitete sogar an einem brandneuen Musical "Square One". Krank hatte er sich nicht gefühlt und so kommt es überraschend, dass Stephen Sondheim nun im Alter von 91 Jahren gestorben ist.
Sendung: "Allegro" am 29. November 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK.