Seit Jahren ist es ein Begriff für Leute, die gern in spektakulärer Umgebung Entdeckungen machen: das Festival Alto Adige in und um Bozen, Brixen und Meran. Noch bis Sonntag läuft die aktuelle Ausgabe unter dem Motto "Exploring the North".
Ein besseres Gespür für Musikvermittlung an touristisch besonders attraktiven Orten kann man kaum haben: Der Programmgestalter Klaus Widmann vom Südtirol-Jazzfestival, hauptberuflich Arzt und daneben ein ungemein umtriebiger Jazzkenner, und sein Team haben auch bei der diesjährigen Ausgabe ihres Festivals ein besonderes Händchen für den Zusammenklang von Landschaft und Sound gezeigt – zumindest an den ersten Tagen; der Rest steht ja noch aus.
Das Auftaktkonzert etwa brachte rund um den finnischen Saxophonisten Pauli Lyytinen 17 Musiker aus verschiedenen Bands in der Lagerhalle eines Baumarkts zusammen: Die Band spielte unter einem Dach, das Publikum saß im Freien; das Wetter war sonnig – und die Musik mäanderte von langen, hymnischen Melodien bis zum rhythmischen Einander-Hochschaukeln eines perkussiv gespielten Synthesizers und eines knurrend-näselnden Electric Wind Instruments, jenes Geschwister-Instruments eines Saxophons, das alle möglichen Klangfarben annehmen kann.
Drei unterschiedliche Gruppen fanden da zu einer einzigen zusammen, mit drei Schlagzeugen, drei Vokalistinnen, zwei Vibraphonen und vielen Bläsern und spielte Stücke, die das Publikum gar noch nicht kennen konnte. Das Ergebnis hatte manchmal Längen und war dennoch ein aufregendes Erlebnis mit lauter Namen, die man sich merken musste: Pauli Lyytinen sowieso, ein junger Saxophonist und Komponist aus Helsinki; dann etwa die Sängerin Mari Kvien Brunvoll aus Molde in Norwegen, die auch Zither spielt und ihre Stimme immer wieder elektronisch verfremdet; oder Anni Elif Egecioglu, eine schwedisch-türkische Sängerin, Songschreiberin und Synthesizer-Spielerin, die in Finnland lebt.
"Exploring the North" heißt diesmal das Programm-Motto, deshalb stammen viele der Musiker aus Skandinavien; aber keiner von ihnen gehört zum Kreis der bereits international Arrivierten. Das kann sich ändern. Denn wer etwa jetzt in Südtirol auf dem Ritten auf einer Wiese vor einem Teich mit kleiner Insel drin das Trio "Building Instrument" erlebte, wird vielleicht nach mehr über diese Band suchen. Eine Frau (die genannte Mari Kvien Brunvoll) und zwei Männer sitzen hinter Instrumenten und elektronischen Apparaten und lassen eine ganz eigene Art hypnotisch langsam fließender Ambient-Musik entstehen - mit elfenhaftem Gesang, der häufig elektronisch verändert wird, mit diskreten Akkordflächen und einem Schlagzeug, das, von Tüchern abgedeckt, sämtliche Rekorde des Leisen zu brechen scheinen will. Ein ganz eigener Trip vor nachtblauer Kulisse.
Im Freien vor drei Hütten auf dem Würzjoch in 2080 Metern Höhe mit Blick auf das schroffe Gestein des Peitlerkofel spielten an einem der ersten Festivaltage Musiker des „Euregio Collective“ in unterschiedlichen Zusammensetzungen. Das Euregio Collective ist ein grenzüberschreitendes Projekt der Europaregion Tirol – mit Musikern aus den verschiedenen Teilen dieser Region, die vom Trentino über Südtirol bis nach Nord- und Osttirol reichen. Ein Projekt, das ein schönes und musikalisch fröhlich-facettenreiches Statement setzt gegen die neue Lust zur besonders scharfen Grenzziehung, die bei Politikern ganz unterschiedlicher Herkunft aktuell grassiert. Und: ein Projekt, das hier viel musikalische Lust verbreitete, einmal als Quintett, einmal als Bläserquartett mit drei Saxophonen und einer Bassklarinette – und einmal in großer Besetzung mit zehn Musikern. In den drei Hütten, auf die das Programm verteilt war, konnte sich das Publikum auch kulinarischen Genüssen hingeben: mit einem dreigängigen Menu, das ebenfalls auf die drei Orte verteilt war. Hut ab vor so guten Ideen.
Zu solchen Touren gab es auch Kontrastprogramme - wie etwa dasjenige eines jungen französischen Trios namens Ikui Doki, das mit Fagott, Harfe und Saxophon zarte Klänge ins Foyer des Museums für moderne und zeitgenössische Kunst (Museion) in Bozen schickte und damit unter anderem auf Themen und Motive aus Werken Claude Debussys zurückgriff: neuer Jazz im Umfeld von Bildender Kunst der Avantgarde, die diesmal im Museion durch begehbare Skulpturen unter anderem von Hubert Kostner und Miroslaw Balka repräsentiert ist. Auch dies: stets eine Entdeckungsreise.
Unter den entdeckenswerten jungen Bands, die das Südtirol-Jazzfestival diesmal aufbietet, ist auch eine junge Münchner Band: das Quintett Fazer um Bassist Martin Brugger und mit dem hervorragenden Trompeter Matthias Lindermayer. Diese Gruppe spielte unter anderem in einem Opern-air-Konzert in Bozen kurz vor Mitternacht in einem Biergarten und wurde von einem trotz der späten Stunde begeisterten Publikum empfangen.
Dieses Festival, das touristische Attraktionen mit aktuellem Jazz verbindet, dauert noch bis zum 8. Juli. Weitere Infos unter suedtiroljazzfestival.com
Sendung: "Leporello" am 4. Juli 2018, 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK.