Spätestens seit 2017, als Intendant Markus Hinterhäuser bei den Salzburger Festspielen antrat, erhitzt ein Dirigent die Gemüter: Teodor Currentzis. Immer wieder bekommt der exzentrische Grieche die für Salzburg so wichtigen Mozart-Premieren anvertraut. Sein auf historischen Instrumenten spielendes MusicAeterna-Orchester, mit dem er in Russland probt, ist bedingungslos auf ihn eingeschworen. Am 2. August dirigierte Currentzis in Salzburg ein reines Mozart-Programm. Currentzis polarisiert. Und er wird wütend attackiert. Aber man sollte es sich nicht zu einfach machen. Eine Zwischenbilanz.
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Es ist Sommer, es ist Festspielzeit. In den Feuilletons seit ein paar Jahren die Zeit für mehr oder weniger gepflegtes Currentzis-Bashing. Natürlich, den Kritikern ist nicht entgangen, dass das Originalgenie in den unvermeidlichen Skinny Jeans sein Publikum hier in Salzburg elektrisiert. Gestern Abend zum Beispiel nach dem Konzert mit zwei Kantaten und den beiden letzten Symphonien Mozarts bekam Currentzis sogar noch mehr Begeisterungsstürme im Großen Festspielhaus als Christian Thielemann einen Abend zuvor. Also muss er von den Feuilletons ganz dringend "entlarvt" werden. Und dann liest man eben Wörter wie "Scharlatan", "Ego-Trip", "Zeitgeist", "Terroranschlag", "Sektenführer" und vor allem und immer wieder "Manierist". Als wäre dieses Phänomen so einfach zu erledigen.
Johannes Brahms wurde mal darauf angesprochen, dass ein Thema in seiner ersten Symphonie wie Beethoven klingt. Seine Antwort war: "Jawohl, und noch merkwürdiger ist, dass das jeder Esel gleich hört." Jawohl, Currentzis ist Manierist, und noch merkwürdiger ist, dass das jeder gleich hört. Natürlich übertreibt er. Vor allem im "Don Giovanni" war das spürbar – und er schadet damit seinen Interpretationen. Wer pausenlos ins Extrem geht, lässt den Ausnahmezustand in Routine umschlagen. Dann wird das, was eigentlich im guten Sinne atemlos machen soll durch seine Intensität, enervierend.
Um dem Phänomen Currentzis wirklich gerecht zu werden, muss man, zumindest vorübergehend, ein paar Dinge einklammern. Oft ist es mehr die Inszenierung, man kann auch ruhig sagen: sein Gehabe, als das klangliche Ergebnis, was nervt. Gestern Abend etwa tigerte er beim Dirigieren immer wieder in kleinen Runden ums Dirigentenpult herum, stellte sich, mit seinen langen Armen wirklich sehr seltsam fuchtelnd, unmittelbar vor die Pulte der Streicher. Ja, Currentzis zieht eine Show ab. Halb Popstar, halb Guru. Das ist oft einfach albern. Seine Leute übrigens auch. Der Konzertmeister sprang am vordersten Pult der ersten Geigen fast ebenso aufgescheucht hin und her wie sein großer Meister. Der, und vor allem das wirkt unsympathisch, seine Macht ersichtlich zelebriert. Das macht es oft schwer, sich auf das künstlerische, klangliche Ergebnis zu konzentrieren.
Übertreibungskünstler sind immer gefährdet, unausweichlich balancieren sie auf einem schmalen Grat. Auch Currentzis weiß oft nicht, bis wohin er zu weit gehen darf. Aber tausendmal besser als die unendliche Langeweile, die weit teurer bezahlte Dirigenten wie zum Beispiel Riccardo Muti oder Zubin Mehta bei Mozart verbreiteten, ist Currentzis‘ Manierismus allemal. Man muss nicht alles von ihm mögen. Aber es ist gut, dass es Extremisten der Eindringlichkeit wie ihn gibt.
Sendung: "Allegro" am 03. August 2021 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK