Ein Chorleiter, der ein Spottlied auf einen dicken Jungen dichtet, Ohrfeigen, und immer wieder das schlechte Gewissen der Kinder, es nicht gut genug gemacht zu haben. Autor Christopher Kloeble schildert seine Zeit beim Tölzer Knabenchor als geprägt von Angst, Drill und emotionaler Gewalt.
Es begann 1988: Christopher Kloeble war sechs Jahre alt, als er zu den Tölzer Knaben kam. Das Singen hat ihm Freude gemacht. Noch heute ist er dankbar dafür, dass er sich durch den Chor intensiv mit Musikwerken auseinandersetzen und sie so viel besser kennenlernen konnte. Wenn er aber zwei Mal die Woche an der Bushaltestelle saß, um zur Probe nach München zu fahren, dann hatte er Angst - vor allem vor dem Vorsingen.
Wer es konnte, durfte sich setzen, wer nicht, musste stehenbleiben.
Alle Knaben hätten einzeln vorsingen müssen, erzählt Christopher Kloeble heute. Wer seine Stimme nicht beherrschte, musste stehenbleiben und es nochmal probieren. Am schlimmsten seien für ihn die Beschimpfungen und die Scham gewesen, sagt Kloeble: "Wenn du neun, zehn oder elf Jahre alt bist, dann löst das schon sehr viel Angst aus. Du bist ja schon auch sehr abhängig von der Meinung der anderen. Und indessen gucken dich dreißig andere Knaben an und lachen oder machen Witze darüber, dass du das jetzt nicht hinkriegst."
Schuldig hätten sich die Kinder auch gefühlt, wenn der jahrzehntelange Chorleiter Gerhard Schmidt-Gaden nach der Generalprobe mit Claudio Abbado unzufrieden mit ihnen war. Dann sei es auch passiert, dass der Chorleiter in den Probenraum kam, die Tür zuknallte und die Kinder als "blöde Arschlöcher" beschimpfte und ihre Leistungen als "scheiße" bezeichnete. "Man hatte so das Gefühl: Wir haben den Chorleiter enttäuscht und wir müssen das jetzt wieder gutmachen, indem wir uns mehr Mühe geben, weil sonst ist das ja sozusagen unsere Schuld", schildert Kloeble die Situation.
Der Romanautor Christopher Kloeble hat seine Zeit bei den Tölzer Knaben auch in Kurzgeschichten verarbeitet. Eins der schlimmsten Erlebnisse sei für ihn gewesen, als der Chorleiter auf einer Busfahrt ein Spottlied auf ihn gedichtet habe, mit dem Titel "Fass von Königsdorf", weil er dort her kam und damals dick war. In dem Lied sei er mit einem dicken Fass verglichen worden, das durch die Gegend rollte. "Es war furchtbar", erzählt Kloeble. "Entweder haben die anderen Jungs dich angeschaut mit Häme und einer gewissen Lust daran, dass da jetzt jemand fertiggemacht wird. Anderen war es ein bisschen peinlich, die haben einem gar nicht in die Augen schauen können. Aber dass das halt so vom Chorleiter ausging... !"
Die Erinnerungen an seine Zeit als Chorknabe schildert Christopher Kloeble unter anderem auch in seinem neuen Roman "Home. Made in India".
Sendung: Allegro am 15. September ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK.