Wann singt er denn endlich den Tristan? Das fragen sich die Opernfreunde aus aller Welt, seit der Tenor Jonas Kaufmann sich vor ein paar Jahren erfolgreich an den Otello gewagt hat, ebenfalls im Münchner Nationaltheater. Jetzt mit fast 52 ist es so weit. Zum Ende der Intendanz von Nikolaus Bachler hat "Tristan und Isolde" Premiere bei den Opernfestspielen – mit dem Münchner Opern-Traumpaar der letzten Jahre, denn Anja Harteros wird ihr Debüt als Isolde geben. Nicht weniger spektakulär sind weitere Positionen mit Okka von der Damerau, Wolfang Koch und Mika Kares besetzt.
Dutzende Male hätte man das Münchner Nationaltheater füllen können, so groß war die Ticket-Nachfrage. Fünf Vorstellungen sind angesetzt. Lange stand auf der Kippe, ob die Festspiele überhaupt stattfinden können. Jetzt ist die Staatsoper froh, wenigstens die Hälfte der Plätze besetzen zu dürfen. "Tristan und Isolde" in München, am Ort der Uraufführung.
"Noch nicht einmal vor drei Monaten hätte ich sagen können, dass das alles locker funktionieren wird", so Jonas Kaufmann. Eigentlich hatte der Tenor für die Saison 2021/22 ein Sabbatical geplant. Das hat sich erübrigt, denn die Pandemie mit den geschlossenen Opernhäusern und Konzertsälen hat ihm diese Auszeit jetzt bereits ein Jahr früher aufgezwungen. Und so kann er sich mit erholter, ausgeruhter Stimme dem Tristan widmen. Zehn Jahre jünger klinge er – hat ihm ein guter Freund kürzlich gesagt. "Da muss ich mir jetzt überlegen, ob ich die zehn Jahre auf die Karriere draufschlage oder es trotzdem irgendwann bleiben lasse."
Zehn Jahre jünger – dann kommt sie vielleicht direkt zu früh, diese Ausnahmerolle für Wagnertenöre. Oder vielleicht gerade richtig: Zusammen mit Anja Harteros als Isolde und Kirill Petrenko am Pult des Bayerischen Staatsorchesters könnte Kaufmann einen weiteren Triumph einfahren – den letzten der Münchner Ära von Nikolaus Bachler.
Noch nicht einmal vor drei Monaten hätte ich sagen können, dass das alles locker funktionieren wird.
Über die Sonderstellung des "Tristan" im Schaffen Richard Wagners sind unzählige Schriften verfasst worden. Über diese in Musik gesetzte Vorstellung Wagners von "wahrer Liebe". Dieses Werk, in dem die Wirklichkeit sich aufzulösen scheint, und die Figuren unmerklich in eine Traumwelt hinübergleiten. Der narkotisierende Trip zweier Menschen, die sich dem Alltag entziehen, um die Hemmnisse ihrer Liebe zu überwinden. In der Inszenierung des polnischen Regisseurs Krzysztof Warlikowski brechen immer wieder Videosequenzen die realen Räume auf. Schon der erste Akt spielt im Niemandsland zwischen "von irgendwo abgereist" und "noch nirgends angekommen".
Jonas Kaufmann hat großen Respekt vor der Partie, die ihm Wagner auf die Stimmbänder komponiert hat: "Die schiere Länge in Kombination mit dem, vorsichtig ausgedrückt, sehr ungewöhnlichen Text, mit den vielen Alliterationen, Verschränkungen, Verwechslungen, Umstellungen in den Sätzen. Da gibt es textlich unglaubliche Stolperfallen."
Da gibt es textlich unglaubliche Stolperfallen.
Vor allem im dritten Akt fängt Tristan an zu singen und hört nicht mehr auf. Zu sehr nachdenken über das, was man da singt, ist da eher hinderlich, meint der Startenor: "Da heißt es: Weiter weiter weiter und dem Automatismus des Gehirns vertrauen, dass es immer rechtzeitig die neuen Texte und die neuen Melodien auch ausspuckt. Auch da geht es ja immer quer durch den Gemüsegarten."
Die Premiere unter der Leitung von Kirill Petrenko findet am Dienstag, 29. Juni 2021, um 17:00 Uhr statt; alle fünf Vorstellungen während der Festspiele sind ausverkauft. Denn nur ungefähr die Hälfte der Plätze durfte verkauft werden, das Publikum sitzt im Schachbrettmuster. Doch am 31. Juli ist die Oper live aus dem Nationaltheater bei "Oper für alle" zu erleben: Ab 17.00 Uhr in einer Direktübertragung auf den Marstallplatz.