BR-KLASSIK

Inhalt

Kritik: Ai Weiweis Turandot in Rom Gelungenes Operndebut: Ai Weiwei als Regisseur

Ai Weiwei ist einer der renommiertesten und politischsten Künstler unserer Gegenwart. In seiner Heimat China war er im Gefängnis und danach unter Hausarrest, weil er sich kritisch über die herrschende Politik geäußert hat. Mit westlicher Oper hat man ihn bislang nicht in Verbindung gebracht. Umso überraschender, dass Ai Weiwei nun auch als Opernregisseur in Erscheinung tritt. An der Oper Rom hatte nun seine Inszenierung von Puccinis letzter Oper Turandot Premiere, für die er die Regie, die Kostüme und ein ungewöhnliches Bühnenbild kreiert hat.

Bildquelle: Fabrizio Sansoni-Teatro dell’Opera di Roma

Bühnenbild: altmodisch, monumental, modern

Wenn sich der Vorhang hebt, glaubt man zwei verschiedene Stücke gleichzeitig auf der Bühne zu sehen. Im Vordergrund gruppiert sich der Hofstaat und das Volk am chinesischen Kaiserhof in Kostümen und mit einer statischen Unbeweglichkeit zu Monumentalbildern, die an die Opernästhetik der 60er Jahre erinnern: kuttenartige, bodenlange Kostüme in Pastellfarben. Auf dem Rückprospekt flirren Videos von seelenlosen chinesischen Riesenstädten und Autobahnen unserer Gegenwart. Das eine ist so eigentümlich wie das andere. Was hat diese altmodische Szenerie mit den Videos zu tun, wie soll man das zusammenbringen? Das ist die Aufgabe des Abends für das Publikum in der Oper Rom bei dieser womöglich ungewöhnlichsten Turandot, die an dem Haus bislang gezeigt wurde.

Ursprünglicher Puccini vs. Katastrophen der Gegenwart

In den Videos auf der Rückwand zeigt Ai Weiwei Themen der Gegenwart. | Bildquelle: Fabrizio Sansoni-Teatro dell’Opera di Roma Ai Weiwei spielt in seiner Inszenierung mit ganz unterschiedlichen Referenzen. Dazu zählt auch die verzopfte 60er-Jahre-Szenerie, die nicht zufällig an Franco Zeffirellis Opernbombasten erinnert. Hat Ai Weiwei doch in seiner Studienzeit in den 80er Jahren in New York bei Zeffirelli in dessen Turandot-Inszenierung an der Met als Statist mitgewirkt, weil damals Chinesen dafür gesucht wurden. Seine erste Begegnung mit westlicher Oper. Die Besinnung auf diese, für ihn sehr positive Erfahrung, wie er erzählt, bildet also die eine Referenz und steht gewissermaßen für den ursprünglichen Puccini. Auf sie werden  Videos und Computeranimationen aus unserer Gegenwart projiziert, kunstvoll verfremdet, die die Katastrophen unserer Zeit zum Thema haben: die Freiheitsproteste und ihre Niederschlagung in Hongkong, Flüchtlingsströme in Belarus und der Ukraine und fliegende Bomben.

Oper ist kein Rückzugsort vor Grausamkeiten

Das Verblüffende an dieser römischen Aufführung ist, dass diese sich widersprechende Ästhetik dennoch oder gerade deshalb eine wirkmächtige Schlagkraft erhält. Ai Weiwei bricht die gängige Opernästhetik auf, verunsichert und verstört – wie wir auch permanent in unserem vermeintlich normalen Leben verunsichert und verstört werden. Die Oper als Rückzugsort vor den Grausamkeiten dieser Welt, das jedenfalls ist mit Ai Weiwei nicht zu machen.

Oksana Lyniv: Viel Spannung, kein Pathos

Mit ihrer anrührenden Interpretation der Liu erhält Francesca Dotto viel Applaus. | Bildquelle: Fabrizio Sansoni-Teatro dell’Opera di Roma Auch Oksana Lyniv als Dirigentin hat an dem Erfolg dieser Turandot ihren Anteil, weil sie korrespondierend zu den Bildern Höhepunkte und Zuspitzungen gestaltet und mit viel Spannung, aber ohne Pathos dirigiert. Eine großartige Leistung bei ihrem Debüt in Rom, für das sie auch reichlich Beifall erhielt. Oksana Dyka in der Titelrolle besitzt eine recht scharf klingend Stimme für die Partie, Antonio Di Matteo als Timur ist hörbar in die Jahre gekommen und Michael Fabiano als Calaf singt zwar klangschön, aber hat keine wirklich große Stimme. Am meisten Applaus erhielt neben Oksana Lyniv Francesca Dotto mit ihrer anrührenden Interpretation der Liu. Insgesamt eine Turandot, die im Gedächtnis bleiben wird und für Diskussionen sorgen dürfte unter den Opernfans in Rom...

Sendung: "Leporello" am 23. März 2022 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK