Er ist erst 30, fast unbekannt und soll gleichwohl im kommenden Jahr in Bayreuth Wagners vierteiligen "Ring des Nibelungen" inszenieren: Da war die Neugier groß, wie Valentin Schwarz Puccinis "Turandot" inszeniert - allerdings auch die Enttäuschung.
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Quizfrage: Oper von Puccini mit einem Maler? Klar, es ist die "Tosca", und der Maler wird darin am Ende bekanntlich erschossen. Aber neuerdings gibt es noch ein zweites Werk von Puccini mit einem Maler: "Turandot" nämlich, und der Maler wird darin am Anfang irrsinnig. Jedenfalls in der Inszenierung von Valentin Schwarz am Hessischen Staatstheater Darmstadt. Bei ihm ist die "Turandot" eine einzige Wahnvorstellung, eine Geschichte, die so absurd ist, dass sie nur als Nervenkrankenheit vorstellbar ist, Schizophrenie zum Beispiel.
Folgerichtig wird der tatarische Held Calaf, der die mordlüsterne chinesische Prinzessin Turandot trickreich erobert, zu einem Künstler, der vor seinem eigenen Fantasy-Gemälde überschnappt. Turandot gib es also gar nicht, sie ist nichts anderes als ein Teil von Calafs Persönlichkeit, mutmaßlich der düstere Teil. Nun gilt "Turandot" eigentlich als opulentes Ausstattungsstück, ziemlich kitschig, ziemlich überladen, aber psychologisch eher seicht. So gesehen war das Regiekonzept von Valentin Schwarz zunächst ungewöhnlich, aber immerhin wagemutig. Leider funktionierte es dann weder inhaltlich, noch optisch.
So schlurft Calaf vor seinem Bild gemütlich zur Seitenbühne und taucht schließlich ebenso unbeeindruckt hinter dem transparenten Vorhang wieder auf. Ein Mann, der in ein Gemälde hineinspringt und damit in seinen Wahnsinn, sollte etwas spektakulärer den Alltag hinter sich lassen. Der Mond sollte auch nicht aussehen wie ein Schminkspiegel, und Turandot nicht im Nachthemd zündeln, wie eine Lucia di Lammermoor, die sich im Stück verirrt hat. Überhaupt wirkte vieles unausgereift und statisch bis zur Langeweile, was auch daran lag, dass Valentin Schwarz und sein Ausstatter Andrea Cozzi sich an der berühmten chinesischen Terrakotta-Soldatenarmee orientierten, den reglosen Tonfiguren, zu denen die Touristen strömen.
Bei der durchweg schummrigen Beleuchtung wirkten sie eher wie Zombies im Hungerstreik. Weil Prinzessin Turandot eigentlich nur eine fixe Idee sein sollte, wurde überhaupt nicht plausibel, was sie eigentlich antreibt. Die Personenregie auf einer höchst ungünstigen steilen Showtreppe wirkte mal hölzern, mal fahrig. Da halfen auch die überwiegend guten stimmlichen Leistungen nichts. Soojin Moon war eine recht unbeteiligte Turandot, Aldo di Toro ein kurzatmiger, aber glaubwürdiger Calaf, Jana Baumeister eine berührende Liu. Gleichwohl waren Beziehungen zwischen den Figuren nicht erkennbar, kein Wunder, wo doch alles im Inneren von Calaf spielen sollte, er also gar kein Gegenüber hatte. Das Publikum reagierte trotzdem freundlich, und die Kritiker waren ungewöhnlich zahlreich erschienen.
Der Grund dafür liegt auf der Hand: Valentin Schwarz, bisher ein völlig Unbekannter, soll nächstes Jahr in Bayreuth Wagners vierteiligen "Ring" inszenieren - die größte Herausforderung, vor die ein Opernregisseur gestellt werden kann. Da lastete diese "Turandot" quasi als Aufwärmübung auf seinen Schultern. "Das Tolle daran ist, dass ich schon vor den Ferien sehr, sehr lange Probenzeit hatte", sagt Valentin Schwarz. "Das heißt, dass die 'Turandot' als Konzept, als durchgearbeitetes Stück schon vor Beginn der Ferien stand. Das heißt, als die Nachricht mit Bayreuth bekannt wurde, wusste ich, der Fokus wird groß sein auf diese 'Turandot'. Auf der anderen Seite ist das Stück quasi schon im Kasten. Jetzt kommt natürlich noch das Orchester mit den verschienden Elementen und die Waghalsigkeiten der Endproben, aber trotzdem: Ich wusste, das Stück, das gibt es schon."
Er ist ein sehr sympathischer Kerl, dieser dreißigjährige Valentin Schwarz. Unbekümmert, offenherzig, selbstbewusst, gescheit. Als Katharina Wagner bei ihm anrief, ob er kurzfristig den "Ring" stemmen könne, brauchte er angeblich nicht viel Zeit: "Wie heißt es in der 'Turandot'? Nessun dorma, also eine durchwachte Nacht, die steht, glaube ich, jedem zu bei so einer Entscheidung. Aber dann weiß man, das ist das Größte, was einem passieren kann als Regisseur. Diese Chance muss man ergreifen."
Klar, nach dieser Darmstädter "Turandot", die übrigens musikalisch solide war (Dirigent Giuseppe Finzi), gibt es erhebliche Zweifel, ob Valentin Schwarz dieser Aufgabe gewachsen ist. Womöglich wäre er in zehn, zwanzig Jahren ein guter Wagner-Regisseur. Und in Bayreuth sind die Probenzeiten knapp bemessen, da sind schon Profis skeptisch. Schwarz jedoch schiebt im Februar sogar noch eine Offenbach-Operette dazwischen - "Die Banditen" in Dresden - und verweist auf seine Wagner-Leidenschaft: "Mein Verhältnis zu Wagner ist wahrscheinlich das längste von allen anderen Komponisten, weil ich tatsächlich mit neun Jahren meine erste Opernpremiere hatte, den 'Fliegenden Holländer', zu dem mich meine Eltern mitgenommen haben. Und es gibt ganz schöne Fotos von mir, wie ich als Zehnjähriger am Esstisch sitze mit einem Klavierauszug der 'Walküre' und Sir Georg Solti höre. Also es ist eine sehr, sehr lange Beziehung zu Wagner, die mich umtreibt. Auch während meiner Assistententätigkeit und während des Studiums, wo wir einige Aspekte von Wagner durchgenommen haben, da ist mir Wagner sehr nahegekommen."
Ob das reicht, um in einer Probenzeit von knappen drei Monaten die 14 Stunden des "Ring" nicht nur auf die Bühne zu bringen, sondern festspieltauglich zu inszenieren, möglich spektakulär zu bebildern, das erscheint fraglicher denn je. Aber Wagner selbst war ja auch nicht gerade bescheiden. Insofern gilt: Augen auf und durch!
Sendung: "Allegro" am 2. September 2019 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK