Nachdem in der vergangenen Woche der 17-jährige Bratschist Armando Cañizales bei Ausschreitungen ums Leben kam, hat nicht nur Venezuelas Stardirigent Gustavo Dudamel öffentlich das Regime von Nicólas Maduro kritisiert. In Caracas gehen immer mehr Mitglieder aus den Jugendorchestern von El Sistema auf die Straße.
In Venezuela beteiligen sich nun auch immer mehr Musiker an den seit April anhaltenden Protesten. Es sind Musiker, die der Regierung die Finanzierung ihrer Karriere verdanken, und die deswegen von vielen sogar als Kollaborateure des Regimes von Staatschef Nicólas Maduro abgestempelt wurden. Schließlich gelten die Jugendorchestern des staatlich geförderten Musikprojekts El Sistema als glänzendes Vorzeigeprodukt des Landes. Es sind Orchester, die durch die Welt touren, während zu Hause das Land zerfällt. Dass die meisten der jungen Musiker die Ideologie ihrer Regierung keineswegs gutheißen, wird besonders seit dem gewaltsamen Tod des Bratschisten Armando Cañizales deutlich.
Egal was schon alles Schlimmes im Land passiert ist. Wir haben einfach weitergeprobt.
"Es ist furchtbar, was mit dem jungen Bratschisten passiert ist", sagt ein junger Musiker aus Caracas, der namentlich nicht genannt werden will. "Aber es war auch komisch, dass das ganze El Sistema sich jetzt plötzlich gegen die Regierung erhebt. Davor waren sie alle ganz ruhig, egal was schon alles Schlimmes im Land passiert ist. Wir haben einfach weitergeprobt. Aber jetzt ist die ganze Sache explodiert."
Die Angst vieler Musiker davor, wegen Kritik an der Regierung ihren Job zu verlieren, rückt jetzt in den Hintergrund. Solidaritätskampagnen in den sozialen Netzwerken überfluteten am Tag nach dem Tod des Bratschisten das Netz. Auch Dirigenten und Mitglieder der Presseabteilung, die sonst eher für die Zensur der Musiker gegenüber Reportern zuständig sind, waren beteiligt und kritisierten nun offen das Vorgehen der Regierung.
Der gewaltsame Tod ihres "compañeros" war vielleicht der Auslöser, aber nicht die einzige Ursache für den nun offenen Protest der Musiker. Die täglichen Strapazen sind für viele schwer zu ertragen. Auch fernab von der chaotischen Hauptstadt Caracas droht die Situation zu eskalieren. In der Industriestadt Ciudad Guayana, im Osten des Landes, ist das Musikzentrum von El Sistema schon seit einiger Zeit lahmgelegt. Wegen der Demonstrationen, die in der Nähe der Probenräume stattfinden. Und weil die Musiker selbst streiken.
Auch in Caracas hat sich schon seit längerem Widerstand in den Orchestern angebahnt. "Ich bin nie zu den obligatorischen Konzerten für die Regierung gegangen, nur als ich noch klein war", erzählt der Musiker aus Caracas, der seit vielen Jahren in einem der Profi-Orchester spielt. Doch dann habe man ihm angedroht, ihn zu entlassen, wenn er weiterhin bei den offiziellen Konzerten für die Regierung fehlen würde. "Und dir wird zur Strafe immer was vom Gehalt abgezogen." Teil eines Lohnes, der durch die hohe Inflation ohnehin kaum für das Nötigste reicht. Es gebe Musiker, die von dem, was sie bei El Sistema verdienen, nicht mehr überleben könnten. "Sie verkaufen in der U-Bahn Kaugummis und Bonbons. Manche machen auch Straßenmusik, wurden dabei aber auch schon ausgeraubt."
Für mich ist das, was in Venezuela passiert, ein Bürgerkrieg.
In seine Heimat zurückkehren will er vorerst nicht. "Für mich ist das, was in Venezuela passiert, ein Bürgerkrieg. Aber die Leute wollen das nicht wahrhaben, weil sie wissen, dass das schlimm ist. Ständig fallen Schüsse, werden Molotowbomben geworfen. Keiner will es einen Krieg nennen. Aber das ist es."