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Kritik – "Die Verurteilung des Lukullus" in Stuttgart Abrechnung im Jenseits

Bertolt Brecht und Paul Dessau lehren die Mächtigen das Gruseln und verurteilen sie zum Nichts - doch diesmal kann sich der raffgierige römische Gourmet und Feldherr im Ufo ins Weltall absetzen. Eine anstrengende Bilderflut.

Bildquelle: Martin Sigmund

Natürlich wäre die Welt besser, wenn wir alle Gewaltherrscher, alle narzisstischen Diktatoren, alle rücksichtslosen Kriegsherren mit einem Knopfdruck auf den Mond schießen könnten. Und so hebt denn am Ende dieses Opernabends tatsächlich eine rosarote Untertasse ab Richtung Weltraum, an Bord der römische Feldherr Lukullus, der in seinem Leben so einiges angerichtet hat: Neben den sprichwörtlichen delikaten Speisen mit Lamm, Wild und Fisch leider auch blutige Belagerungen, grausige Eroberungen und hemmungslose Raubzüge.

Römischer Top-Manager auf Ego-Trip

Bildquelle: Martin Sigmund Der Mann hat allenfalls seinen viel beschäftigten Koch auf seiner Seite, vielleicht noch die Liebhaber von Kirschbäumen, wo er dieses Obst doch aus dem Osten nach Europa gebracht haben soll, aber für alle anderen ist er ein Tyrann, ein Schlächter, ein aufgeblasener römischer Top-Manager auf Egotrip.

Klar, dass diese durch und durch kapitalistische Führungskraft im sozialistischen Jenseits nichts Gutes zu erwarten hat, und genau dorthin nehmen Bertolt Brecht und Paul Dessau ihr Publikum mit, ins Totenreich, wo über das Leben der Verstorbenen geurteilt wird. Lukullus kommt mit viel Trara da unten an, bläst sich in der Stuttgarter Inszenierung buchstäblich auf zu einem signalgelben Krawallbruder, der sehr bedauert, dass er nicht angemessen empfangen wird.

Vielleicht findet er ja im Vakuum zu sich selbst

Bildquelle: © Martin Sigmund/Staatstheater Stuttgart Ganz im Gegenteil, er wird sogar zum Nichts verurteilt, Höchststrafe für einen derart geltungsbedürftigen Charakter, daran gemessen ist die überraschende Reise mit dem UFO ins All, die ihm die Regisseurinnen Franziska Kronfoth und Julia Lwowski an der Stuttgarter Oper gönnen, noch eine Art Bewährung - vielleicht findet er im Vakuum ja zu sich selbst.

In der frühen Nachkriegs-DDR war das Stück, das der Bayerische Rundfunk 1949 als Hörspiel sendete, sehr umstritten, zeitweise verboten, später wurde es im SED-Regime sehr populär. Doch in den letzten Jahren war die "Verurteilung des Lukullus", die ursprünglich weniger scharf nur "Das Verhör des Lukullus" hieß, kaum noch auf den Bühnen präsent. Kein Wunder: Wird es doch schnell zu vorhersehbarem Agitprop-Theater: Reihenweise marschieren die Zeugen gegen den Unsympathen auf, die Sklaven, die toten Soldaten, deren Mütter, die besiegten Könige, die Armen und Unterdrückten.

Lukullus kippt ein Bierchen im Foyer

Da ist von Anfang klar, wie´s ausgeht, und deshalb gönnt sich Lukullus in Stuttgart während seiner Verhandlung auch eine Auszeit im Theaterfoyer, kippt ein Bierchen hinter die Binde - Prost, Jenseits - und ergibt sich in sein Schicksal. Gegen diesen Chor kommt er eh nicht an, und gegen das Trautonium, das Peter Pichler eindrucksvoll zum Wabern bringt, auch nicht.

Es ehrt das Regiekollektiv "Hauen und Stechen", das es im Bühnenbild von Christina Schmitt optisch alles daran setzte, dieses Weltgericht etwas weniger eindeutig zu machen, als es Text und Partitur hergeben, doch das Ergebnis war eine verwirrende, anspielungsreiche Bilderflut, die eher anstrengend war als kurzweilig oder assoziativ. Dabei wagten die Regisseurinnen einen sehr tiefen Blick ins menschliche Innenleben, nicht auf die Seele, sondern aufs Gedärm.

Wie paradiesisch ist eine Kippe?

Bildquelle: © Martin Sigmund/Staatstheater Stuttgart Maden räkeln und verpuppen sich, schlüpfen aus ihrem Panzer, erinnern an Werden und Vergehen, den Kreislauf der Natur. Es wird rege mit Lebensmitteln gematscht in dieser Hölle, und dass es durchaus paradiesisch sein kann, sich gemütlich eine Kippe anzustecken, gehört zu den augenzwinkernden Gags, wie der ein oder andere Feuerzauber und der schäbige Fisch, der spazieren geführt wird.

Insgesamt fehlte diesem Abend die unerbittliche Schärfe, die Brecht und Dessau wohl mit ihrer realsozialistischen Lebensberatung im Sinn hatten. So verspielt, so schalkhaft, so mehrdeutig, so ironisch ist dieses Moralstück gewiss nicht gemeint - gleichwohl lässt es sich natürlich postmodern interpretieren, speziell in einer Zeit, der die ideologischen Glücksverheißungen gründlich abhanden gekommen sind. Dennoch: Soviel Schabernack nahm dem jüngsten Gericht eindeutig zu viel von seinem heiligen Ernst.

Luzifer mit großem Schlafbedürfnis

Auch musikalisch überwog beim 84-jährigen Dirigent Bernhard Kontarsky, einem ausgewiesenen Fachmann für Neue Musik, das Bemühen, die scharfen Kanten abzurunden, das Gebell der Blechbläser weniger furchteinflößend erscheinen zu lassen. Dogmatisch klang das alles nicht, zum Glück, aber eben auch nicht mehr sonderlich nachdrücklich. Unter den Solisten ist Gerhard Siegel in der Titelpartie zu loben, so herrlich machohaft und unbekümmert, wie er den feisten Gourmet und Raffzahn gab, ein vom Himmel gefallener Luzifer mit großem Schlafbedürfnis.

Dem vielköpfigen Ensemble fehlte mitunter die eherne Deklamation, das eisige Beharren auf dem eigenen Klassenbewusstsein, das hier gefragt wäre. Klar, ist total veraltet und war mal beängstigend, aber wer das Stück macht, sollte sich zu diesem Stil angemessen kämpferisch verhalten. Bunte Beliebigkeit schätzen Diktatoren ja gar nicht, aber es reicht nicht, sie damit zu ärgern. Dann mögen sie zwar mal kurz ins All düsen, landen aber garantiert wieder auf irgendeinem Feldherrnhügel in unserer Zukunft.

Sendung: "Leporello" am 2. November 2021 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK