Statisten in Unterwäsche und jede Menge Rambazamba: Stefan Herheim inszeniert Wagners Musikdrama nah an Puppenspiel und Jahrmarkt-Spektakel. Das ist furios bebildert, bleibt jedoch oberflächlich. Dafür überzeugen die Sänger und die Bühnentechniker – meint Peter Jungblut, der bei der Premiere am 12. Juni anwesend war.
Das ist ja gerade noch mal gut gegangen – nein, nicht für die Götter von Richard Wagner, die schreiten gut gelaunt ihrem Untergang entgegen, sondern für die Bühnentechniker: Die haben überlebt, und das war in diesem Fall eine ziemliche Herausforderung. Regisseur Stefan Herheim und seine Mit-Ausstatterin Silke Bauer hatten sich für das "Rheingold" dermaßen aufwändige Bilder ausgedacht, dass enorm viele helfende Hände gebraucht wurden, und auch wohl etwas Glück, denn immer wieder waren Techniker auf offener Szene sichtbar und ziemlich hektisch im Einsatz.
Mitunter hielt das Publikum schier den Atem an, ob es ihnen gelingen würde, diesen Vorhang rechtzeitig verschwinden zu lassen, jene Riesenpuppen synchron zu bewegen und die alles entscheidende Show-Treppe zeitgerecht zum Finale in Position zu bringen. Kurz gesagt, es war ein farbenfrohes Halligalli auf der Bühne, ein bildmächtiges Rambazamba, und das märchenhafte "Rheingold" verträgt das natürlich sehr gut. Herheim kommt vom Puppentheater, mag offenbar Fabeln und Sagen und spielt leidenschaftlich gern den Bühnenanimateur. Deshalb dürfen auch ganz viele mitmachen.
Damit macht Herheim deutlich: Diese Geschichte, die könnte jederzeit ganz anders ausgehen, sie ist keineswegs zwangsläufig, wie alles im Leben. Hier ist ein Theatermacher durch und durch am Werk, aber was Herheim, der 2022 das Theater an der Wien übernehmen wird, jenseits von der opulenten Ausstattung und zahlreichen Gags am "Rheingold" interessiert hat, blieb leider völlig unklar. Heerscharen von Statisten müssen Koffer schleppen und eine geschlagene Stunde in Feinripp-Unterwäsche herumstehen, zwischendurch auch mal von Liebe träumen, das macht viel Durcheinander, viel Tempo, aber wenig Sinn, was schon in München bei einer ähnlich vielköpfigen und überladenen "Ring"-Inszenierung von Andreas Kriegenburg augenfällig war. Und weil die "Walküre", der zweite Teil des "Rings", an der Deutschen Oper Berlin ja schon Premiere hatte, wurde deutlich: Diese Art üppige, bildstarke Trickserei mit Wimmelbildern trägt inhaltlich nicht sehr weit.
Es stimmt schon, Richard Wagner mochte Budenzauber und wäre von so viel Licht und Maschinerie begeistert gewesen, klagte er doch zu Lebzeiten gern und wortreich über die begrenzten technischen Möglichkeiten. Aber gute Unterhaltung war ihm eindeutig zu wenig. Und gegen Ende wurde der bunte Abend in Berlin denn auch fast schon unfreiwillig komisch: Die Götter sollten wie gewohnt über einen Regenbogen in ihr Walhall schreiten, doch die Stoffbahn rutschte dermaßen irritierend über das dahinter verborgene Treppengerüst, dass jederzeit zu befürchten war, einer der Unsterblichen würde ausrutschen.
Dirigent Donald Runnicles neigt nicht zu derben Effekten und rabiaten Eingriffen in die Partitur und lässt diesbezüglich selten eine eigene Handschrift erkennen. Muss auch nicht sein: Das wirkt bei anderen Dirigenten bisweilen affektiert oder übertrieben. Und so gelang Runnicles ein penibel geprobter, sehr gut ausbalancierter Abend ohne Wackler und Nervositäten. Eine Spur mehr Drama wäre akustisch vielleicht drin gewesen, aber das "Rheingold" ist nun mal der vergleichsweise "leichtfüßige" Auftakt zum "Ring" und muss nicht so erdenschwer daherkommen wie die "Götterdämmerung". Insgesamt eine szenisch so umjubelte wie befehdete Premiere, und damit ein kontroverser, musikalisch jedoch imponierender Erfolg für die Deutsche Oper Berlin.
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Sendung: "Allegro" am 14. Juni 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK