Richard Wagner war ständig unterwegs – meist auf der Flucht vor Polizei und Gläubigern. Regisseur Stefan Herheim zeigt daher bei der "Walküre" an der Deutschen Oper Berlin Menschen im Transit. Mit dabei: der heimatlose Göttervater Wotan. Das gefiel nicht allen Zuschauern.
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Diesen Vergleich muss sogar Marlene Dietrich verlieren: Die hatte ja bekanntlich mal einen Koffer in Berlin und musste "darum nächstens wieder hin", aber die Walküre an der Deutschen Oper, die hat tausend Koffer in Berlin – und darum muss sie nächstens dringend weg. Schafft sie aber nicht, obwohl eine Hebebühne zum Einsatz kommt und auch jede Menge hilfreiche Statisten bereitstehen.
Tatsächlich zeigen Regisseur Stefan Herheim und seine Ausstatterin Silke Bauer lauter Menschen im Transit, unterwegs von hier nach da. Berge von Koffern stapeln sich auf der Bühne, eigentlich nur Koffer, vorne, hinten und seitwärts und am Ende schweben sogar noch welche vom Himmel herab. Das war nicht unbedingt ein überdeutlicher Hinweis auf die aktuelle Migrationskrise, denn die Flüchtlinge von heute reisen ja selten mit einem Koffer übers Mittelmeer, sondern, wie dem Programmheft zu entnehmen war, vielmehr inspiriert von Richard Wagners unstetem Leben.
Und so gab es denn am Ende auch überraschend viele Protestrufe aus dem Publikum, obwohl das nach sieben Monaten Zwangspause ja förmlich ausgehungert sein müsste nach Oper und eine entsprechende Dankbarkeit zu erwarten war – lockte in diesem Fall doch sogar ein groß besetztes Musikdrama von Wagner, mit voller Orchesterstärke. Das wird sich in diesem Jahr sicherlich nicht mehr irgendwo anders ergeben, und wer weiß, ob und wann es im nächsten Jahr möglich ist. Knapp 800 Zuschauer durften in den Saal, fast schon Verhältnisse wie bei den sehr risikofreudigen Salzburger Festspielen.
So kamen endlich mal wieder die germanischen Flügelhelme und eine kecke Brustwehr zum Einsatz, wie vor hundert Jahren, und ständig verschwanden Götter und Helden buchstäblich in der Versenkung, nämlich in einem Konzertflügel, der wohl signalisieren sollte, dass hier alle Ideen aus der Musik heraus entwickelt wurden. Das machte im ersten Aufzug noch was her, später wurde es zur Marotte und der berühmte Feuerzauber zum Schluss war leider optisch so misslungen, dass wirklich kein Gänsehaut-Effekt eintrat.
"Gediegen" wäre wohl die angemessene Bezeichnung für das Dirigat von Donald Runnicles. Er liebt keine scharfkantigen Kontraste und auch keine wilden Klang-Eruptionen, was den Sängern sehr zugute kam. Fein gearbeitet, sehr sorgsam ausbalanciert, aber eben auch vergleichsweise gemächlich führte er durch die Partitur. Unter den Solisten durfte sich die junge norwegische Sopranistin Lise Davidsen als ungemein spielfreudige Sieglinde verdientermaßen über großen Beifall freuen. Brandon Jovanovich ist äußerlich ein perfekter Siegmund und auch angenehm draufgängerisch: Er wagte stimmlich jedoch manchmal mehr, als er dann einhalten konnte.
Nina Stemme als Brünnhilde hat es leider inzwischen nicht immer leicht, ihre Stimme bei Lautstärkewechseln auf der Spur zu halten. Aus der jugendlichen Walküre ist sie unüberhörbar herausgewachsen. Der schwedische Bariton John Lundgren war als Wotan stimmlich deutlich zu passiv und charakterschwach, um wirklich zu überzeugen, was ähnlich auch für Andrew Harris als Hunding galt. Da fehlte einfach die diabolische Schwärze, auch aggressive Maskulinität. So blieb der Applaus in all diesen Fällen allenfalls freundlich bis pflichtbewusst. Und Richard Wagner? Der half zum Finale als männliche Hebamme bei der Geburt von Siegfried – und wurde dabei nicht mal ohnmächtig.
Sendung: "Allegro" am 28. September 2020 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK