Nach einer umstrittenen "Doktor Schiwago"-Vertonung wagte sich der Komponist Anton Lubchenko jetzt an einen utopischen Roman, in dem die Menschen zur Zahlen-Kombi in einer gespenstischen Diktatur werden. Ähnlichkeiten mit Russland sind unübersehbar. Premiere war am 15. März am Theater Regensburg.
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Eine beklemmende Leerstelle gab es bei dieser Uraufführung: Darya Panteleeva, die das Libretto für diese Oper schrieb, konnte in Regensburg nicht anwesend sein. Sie sitzt derzeit in Untersuchungshaft, wegen der Teilnahme an einer Friedenskundgebung gegen den Angriffskrieg auf die Ukraine. Für den 21. März ist ihr Prozess anberaumt. Tausende von Menschen wurden ja bereits in russischen Städten festgenommen, viele verurteilt, manche sogar schikaniert.
Das ganze Werk ist fast schon ein einziger Aufschrei, geboren aus Wut und Bitterkeit über einen Staat, der nichts zulässt außer dem Irrsinn des Diktators. Vielleicht leiden ja alle russischen Komponisten unter ihrem Heimatland, gewiss aber der zutiefst unglückliche Modest Mussorgsky, der hörbar besonderen Einfluss auf Lubchenko hat. Viel hilft viel – an diese Devise halten sich beide. Auch Mussorgsky liebte prächtige Aufmärsche und Chorsätze, wühlte tief in der russischen Folklore und hatte keine Berührungsängste zum Herzschmerz und zur derben Komik. All das findet sich auch in "Wir". Mit Tschaikowskis Innigkeit und Sentimentalität hat Lubchenkos knapp dreistündige Oper dagegen wenig zu tun.
Lubchenko nimmt kein Blatt vor den Mund, er hält wenig von Putin, auch deshalb, weil der ihn erst als Intendant eines neuen Opernhauses in Wladiwostok installiert hat, nur um das Haus drei Jahre später seinem Vertrauten Valery Gergiev als Außenstelle des Petersburger Mariinski-Theater zuzuschanzen. Da ist also gekränkte Eitelkeit im Spiel. Wie auch immer: "Wir" ist groß angelegt, bisweilen zu groß für das vergleichsweise kleine Regensburger Haus.
Bariton Igor Onishchenko aus Odessa und die aus Rostock stammende Sopranistin Gesche Geier singen ihre Hauptrollen furios und außer Rand und Band – manches klingt so messerscharf, als ob ihr Text eine Kampfansage an das tosende Orchester ist. Der ursprüngliche Regisseur Johannes Pölzgutter war dem Theater Regensburg abhanden gekommen, er soll mit den Pandemie-Bedingungen während der Proben gehadert haben.
Maximilian Eisenacher und Christina Schmidt sprangen ein und machten ihre Sache solide. Bei Uraufführungen ist ja vor allem Klarheit und Deutlichkeit gefragt, weniger eine anspielungsreiche Interpretation. Ausstatter Michael Lindner hatte eine Art Biosphären-Kuppel entworfen, ein Treibhaus, in dem der Fanatismus blühen konnte. Das machte was her. Dirigent Tom Woods scheute sich nicht, diese wahrhaft "elefantöse" Angelegenheit imposant und oft knallig in den Griff zu bekommen. Für sensible Gemüter sind unsere Zeiten wohl nicht geschaffen, und unsere Opern neuerdings auch nicht.
Weitere Vorstellungen bis Juni 2022.
Informationen zu Tickets und Besetzung finden Sie auf der Homepage des Theaters Regensburg.
Sendung: "Allegro" am 16. März ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK