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Premierenkritik Ewelina Marciniak inszeniert das "Rheingold" in Bern

In Polen ist die Regisseurin Ewelina Marciniak längst etabliert, viel Zeitgenössisches steht in ihrem Programmplan. In Deutschland debütierte sie 2018 mit Shakespeares Sommernachtstraum. 2020 erhielt sie den FAUST-Theaterpreis. Nun hat sich Marciniak an der Oper Bern zum ersten Mal Musiktheater vorgenommen: Wagners "Rheingold".

Bildquelle: Rob Lewis

Florian Scholz, mehrere Jahre überaus erfolgreicher Intendant in Klagenfurt und seit heuer in der schweizerischen Hauptstadt tätig, geht ein gewisses Risiko ein, eine bisher nur Sprechtheater inszenierende Künstlerin für die Tetralogie zu verpflichten - doch es geht auf. Ewelina Marciniak gilt als ebenso kühne wie kühle Stückbefragerin, mit klaren ästhetischen Vorstellungen und einer großen Portion Verspieltheit. Genau dies erlebt man auch beim "Rheingold", wenn die überblondierten Rheintöchter mal reine Sängerinnen, mal Tänzerinnen, mal irrlichternde Wesen aus anderen Sphären sind - bisweilen auch in größerer Besetzung als das gewohnte Dreierpack.

Regisseurin Ewelina Marciniak in ihrem Element

Bildquelle: Franziska Rothenbühler Marciniak zeigt zunächst ungemein klar und berührend einen Kriegsheimkehrer namens Alberich, der, statt ungelenk herum zu taumeln, zur platschenden Musik zuckt und grimassiert. Ein Traumatisierter, der vermutlich viel auf dem Gewissen hat: eine blonde Frau bleibt regungslos vor ihm liegen, mit bis zum Slip hochgezogenem Rock. In diese Szenerie schiebt sich allmählich Märchenhaftes, Mythologisches hinein. Und es gibt auch das berühmte Gold, allerdings ist es reines Dekor. Das wird spätestens dann klar, als Bühnenarbeiter mit großen Karren anrücken auf denen "Dekor" steht. Damit entfernen sie übrigens auch das blonde Opfer. Schnitt. Eine rot-perückte Tänzerin, Animateuse, Spiel(ver)führerin erweckt Obergott Wotan und seine Gattin Fricka zum Leben. Die Dame wird öfters auftauchen und herum huschen, ebenso wie ein wirklich sensationelles Tänzertrio, das mal als junge wilde Kollegen der als Gangsta-Rapper auftretenden Riesen Fafner und Fasolt erscheint, oder auch als wütende kannibalistische Figuren, oder wiederum als ziemlich wilde Jungs in Frauenkleidern.

Bei Marciniak trifft Sinnliches auf Sozialkritik

Manche Figuren werden gespiegelt, die Götter sehen sich beispielsweise alten, verwachsenen Doubles gegenüber, auch bühnentechnisch gibt es reichlich Effekte mit Spiegeln, Lichtreflexen, plötzlichen farblichen Veränderungen. Marciniak verbindet mühelos und wunderbar sinnlich mythische Bilder mit einem konkreten Sozialstück der Gegenwart, lässt manches im Stück unangetastet, während sie ihre Protagonisten über anderes buchstäblich ironisch den Kopf schütteln lässt. Dieses "Rheingold" ist eine assoziative Reise, ein Reflexionsangebot, dabei in jedem Moment präzise und emphatisch. Trotz der Ideenfülle wirkt hier nichts beliebig oder austauschbar.

Die Besetzung des "Rheingolds"

Bildquelle: Rob Lewis Meisterhaft agiert und singt das Ensemble: Josef Wagners schmierlappiger Wotan überzeugt mit schneidig machtvollen Tönen. Marco Jentschs Loge wirkt kleidungstechnisch einem sehr biederen Büro entsprungen, vokal schillert er herrlich sinister. Robin Adams gelingt nach kurzer Vorglühzeit (im doppelten Sinne) ein toller Alberich. Michał Prószyńskis Mime hingegen merkt man seine Angstzustände gelegentlich auch vokal an. Interessant ist die Besetzung der von Fasolt begehrten Freia mit Masabane Cecilia Rangwanasha, eine schwarze Sängerin, die mit hinreißend warmer Stimme ihre fein aufeinander abgestimmten Trashklamotten gleichsam transzendiert...

Das Berner Symphonieorchester unter Nicolas Carter

Dirgent Nicholas Carter ging mit Intendant Florian Scholz von Klagenfurt in die Schweiz und kreiert mit dem Berner Symphonieorchester einen klar konturierten, dabei sehr flüssigen und farbigen Wagnerklang. Leider hatten die Hörner (nebst einigen Verwandten) zu Beginn arge Mühen bei Intonation und Koordination.

Jubel für die Inszenierung an der Oper Bern

Am Ende erwartete man bei dieser durchaus radikalen Regie eigentlich ein paar Buhs. Aber es war nur Jubel zu hören und es wäre toll, wenn die Kraft und Fülle dieses Abends auch die weiteren Ring-Teile durchströmen würde.

Sendung: Leporello, am 13. Dezember 2021 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK