"Warum spielen Sie nicht Piccoloflöte?" Alexandra Scott lacht über die Frage. Klar, ein Kontrabass passt in keine Handtasche. Aber er ist nun mal ihr Instrument! Aufsehen erregt die zierliche Frau nicht nur wegen der Größe ihres Instruments, Vorurteile gegen Kontrabassistinnen gibt es bis heute. Alexandra Scott musste erst lernen, sich als Frau in dieser von Männern dominierten Welt zu behaupten.
Sie wartet am Gleis – ohne ihn. Alexandra Scott winkt fröhlich. 6 Uhr morgens ist eigentlich nicht ihre Zeit, aber in wenigen Minuten fährt der ICE. Ihren Kontrabass hat Alexandra Scott zuhause gelassen. "Böse Zungen behaupten: Das schwerste am Kontrabass ist der Transport", sagt sie und lacht: "Ganz so schlimm ist es nicht." Trotzdem ist sie froh, wenn sie ihn nicht mitschleppen muss. Mit federnden Schritten läuft die Musikerin auf den Zug zu. Ein schmales Etui baumelt ihr um die Schultern. Darin: der Bogen. "Den nehme ich immer mit zum Unterrichten." Spielen kann sie damit auch auf dem Instrument ihrer Studenten.
Mehr als drei Stunden sind es mit dem Zug von München bis nach Karlsruhe. Alexandra Scott lehnt sich entspannt zurück. Sie genießt es, ohne Kontrabass zu reisen. In München fährt sie oft mit ihm U-Bahn: "Da muss man schon genau wissen, in welchem Winkel man den Bass halten muss. Sonst ist er danach kaputt." Mit Noten und Hülle wiegt der Kontrabass über zwanzig Kilo. Alexandra Scott hat Übung, schlängelt sich mit ihrem Instrument auch durch überfüllte Züge. "Warum haben Sie nicht Piccoloflöte gelernt?" fragen die Leute dann gern. Es ist scherzhaft gemeint, bedient aber auch ein Klischee: Eine Frau, die Kontrabass spielt – ist das normal?
Es kam mir überhaupt nicht in den Sinn, dass Kontrabass ein Männerinstrument ist.
Aufgewachsen ist Alexandra Scott im Süden von England. Die Mutter spielte Geige und Alexandra war oft bei den Proben dabei. Die Musiker schauten ihr alle immer zu ernst – bis auf einen: "Der Bassist hat mir immer so viel Spaß gemacht mit seinem Instrument", erinnert sie sich. "Er hat immer wieder zu mir geguckt, seinen Bass gedreht und zur Musik getanzt". Einmal durfte sie nach der Probe den Kontrabass ausprobieren. Noch heute leuchten ihre Augen, wenn sie davon erzählt: wie sie auf den Stuhl kletterte, sich ihre kleinen Finger um die dicke Saite krallten, wie sie diese zupfte und das ganze Rieseninstrument vibrierte: "War das eine Freude!"
Mit sieben Jahren ließ Alexandra dann den Bogen über die Saiten tanzen. Sie lernte an die Yehudi Menuhin School in London. Ihre Lehrerin Caroline Emery hatte extra kleine Kontrabässe in Rumänien anfertigen lassen und mehrere Kontrabassschulen für Kinder geschrieben. Eine Pionierin auf dem Gebiet. "Sie war ein enormes Vorbild für mich", erzählt Alexandra Scott. "Sie hat das mit so viel Leidenschaft gemacht und so viele Kinder ermutigt, dieses Instrument zu spielen." Zwischen Jungs und Mädchen wurde nicht unterschieden, erinnert sich Alexandra. Noch heute staunt sie: "Es kam mir überhaupt nicht in den Sinn, dass Kontrabass ein Männerinstrument ist. Überhaupt nicht." Damit wurde sie erst viel später konfrontiert – als sie nach Deutschland kam.
Ich unterrichte nicht Kontrabass, ich unterrichte Menschen.
Alexandra Scott arbeitet gerne mit jungen Menschen: "Die haben so unterschiedliche Ideen". Und die möchte sie ihnen auch nicht nehmen. "Sie lässt uns viel Freiheit bei unseren Ideen", erzählt Gabriela, Erasmus-Studentin aus Kuba: "Für mich ist das sehr wichtig, damit ich meine eigene Stimme finden kann." In Kuba hatte Gabriela ausschließlich männliche Lehrer. Nun bei einer Professorin Unterricht zu haben, findet sie großartig: "Alix ist eine inspirierende Persönlichkeit. Und für uns Kontrabassistinnen sehr wichtig – ich bin ja auch eine Frau."
Irgendwo läuft da etwas schief.
Alexandra Scott selbst spielt seit 2007 im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks – als einzige Frau in der Kontrabassgruppe. Neben ihr: acht Männer. Ähnlich ist es beim Bayerischen Staatsorchester und den Münchner Philharmonikern. Auch dort spielt jeweils nur eine einzige Frau Kontrabass. Alexandra Scott schüttelt den Kopf: "So etwas schockiert mich. Ich sehe ja, dass die Studentinnen richtig gut sind. Irgendetwas an dem System muss sich ändern."
Eine Altbauwohnung im Münchner Stadtteil Haidhausen: ein hoher kahler Raum, ein Regal, ein Tisch, zwei Stühle und ein großer Spiegel. In der Ecke steht der Kontrabass. Hier übt Alexandra Scott. Das Parkett knarzt unter ihren Füßen, als sie ihn auspackt. "Ich bin 1,58 m groß", sagt sie und deutet in die Ecke, "mein Kontrabass 1,90 m." Es ist ein Viersaiter, ein vergleichsweise kleines Instrument - für Solorepertoire und Kammermusik. Im Symphonieorchester spielen sie alle auf dem großen Fünfsaiter. "Der ist über zwei Meter groß", sagt Alexandra Scott. Aber, betont sie: es sei völlig egal, wie groß man selbst sei. "Man muss einfach seinen eigenen Weg finden, den Kontrabass zu spielen. Das hat nichts mit der Größe oder dem Gewicht eines Menschen zu tun." Im Orchester würden sie alle auf Hockern sitzen.
Bei Bewerbungen werden weniger Frauen eingeladen als Männer.
Alexandra Scott ist sicher, dass es in erster Linie Vorurteile sind, die es Kontrabassistinnen heute so schwermachen. "Ich glaube, es bewerben sich immer noch weniger Frauen als Männer. Eingeladen werden auf jeden Fall weniger Frauen als Männer. Das ist eine Tatsache." Das hänge aber auch damit zusammen, dass es einfach weniger Kontrabass spielende Frauen gibt als Männer. Damit die Beurteilung neutral ausfällt, finden viele Probespiele im Orchester hinter einem Vorhang statt. Dann weiß niemand, ob ein Mann oder eine Frau spielt. "Das ist einfach fair", sagt Alexandra Scott. Auf der anderen Seite könne es aber durchaus wichtig sein zu sehen, wie sich ein Musiker auf der Bühne präsentiert. Denn das tue er im Orchesterkonzert später auch. Deshalb verzichte beispielsweise das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks beim Probespiel auf den Vorhang.
"Der Kontrabass ist leider immer noch ein männlich dominiertes Instrument", stellt Alexandra Scott fest. "Aber das ändert sich gerade." Auch in anderen Bereichen tue sich viel - beispielsweise in der Politik: "Für die Kinder heute ist es ganz normal, eine Frau als Bundeskanzlerin zu sehen." Das gleiche wünscht sich Scott auch für ihr Fach, den Kontrabass. Ansetzen müsse man da ganz früh.
Es ist eine wichtige Zeit für Frauen. Und ich bin froh, Teil dieser Bewegung zu sein.
Was muss eine Frau heute mitbringen? Talent und Können allein reichen nicht aus, da ist sich Alexandra Scott sicher: "Man braucht als Frau einen selbstbewussten Charakter. Ich glaube, das ist ganz wichtig." Dabei sollte man natürlich aufpassen, nicht arrogant zu werden. "Den richtigen Mittelweg zu finden, ist schwer", so Scott. "Aber es sollte unser Ziel sein!" In jedem Fall braucht man als Frau oft ein dickes Fell – auch im Orchesteralltag. "Die meisten Männer verhalten sich immer respektvoll und korrekt", betont sie. "Natürlich gibt es ein paar dreckige Witze, die man sich manchmal anhören muss. Aber ich glaube, das ist in jedem Beruf so." Wer ist schuld an der schwachen Position der Frauen? Die Männer? Nein, meint Alexandra Scott. Aber: "Die Frauen müssen sich auch präsentieren und kämpfen."
Alexandra Scott selbst steht heute mitten im Leben, hat eine eigene Familie mit einer kleinen Tochter. Das prägt. Auch die zwölf Jahre im Orchester haben sie verändert. "Ich fühle mich jetzt persönlich als Frau reifer und kann meine Meinung viel besser vertreten." Die Gesellschaft wandelt sich nur langsam. Trotzdem ist Alexandra Scott zuversichtlich: "Es ist eine sehr wichtige Zeit für Frauen, und ich bin sehr froh, ein Teil dieser Bewegung zu sein." Was sie sich für die Zukunft wünscht? Ganz klar: "Equality. Das ist mein Wunsch – für alle. Ob Mann oder Frau."
2. bis 7. März 2020, jeweils um 8:15 Uhr in "Allegro"/"Piazza" auf BR-KLASSIK:
Porträt-Sendungen zu Alexandra Scott
8. März 2020, in der Symphonischen Matinée um 10:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Interview mit Alexandra Scott