Nur unperfekte "Tristan"-Aufführungen könnten diese Oper retten, meinte Richard Wagner einmal, perfekte müssten die Leute verrückt machen. Katharina Wagners Version von "Tristan und Isolde", die am 26. Juli auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses wiederaufgenommen wurde, war schon sehr nah an der Perfektion dran - dank Dirigent Christian Thielemann.
Schon nach wenigen Takten des Vorspiels zu Wagners Tristan und Isolde ist klar, wer den Liebestrank in dieser Oper anrührt: Es ist Christian Thielemann. Der Dirigent entlockt dem Bayreuther Festspielorchester ein Maß an betörender Sinnlichkeit, dass Tristan und Isolde gar nicht anders können, als in heftigster Liebe füreinander zu entbrennen - mit oder ohne Liebestrank. Die Musik lässt ihnen keine Wahl. Als hätte sie die Wirksamkeit von Thielemanns Dirigat geahnt, hat Regisseurin Katharina Wagner in ihrer Inszenierung auch darauf verzichtet, die beiden Protagonisten den Liebestrank tatsächlich trinken zu lassen - wobei diese Idee in der Aufführungsgeschichte der Oper auch nicht ganz neu ist.
Der amtierende Musikchef des Grünen Hügels Christian Thielemann ist auch im dritten Jahr dieser Tristan-Produktion der am stärksten bejubelte Star in dieser Aufführung. Er lässt - wie er das einmal selbst formuliert hat - wahrhaft das Narkotikum von der Decke tropfen.
Und das phänomenale Festspielorchester folgt ihm mit großer Hingabe bis hin zu den geradezu überirdisch schönen kammermusikalischen Passagen im dritten Akt oder der magischen Sinnlichkeit des zweiten. Aber auch gesanglich ist dieser Tristan von herausragender Qualität: Allen voran Petra Lang als Isolde. Mit ihrem schlanken, in allen Registern souverän geführten Sopran ist sie derzeit die denkbar beste Besetzung dieser Partie. Und dann spielt sie auch noch mit hingebungsvoller Intensität: voller Zorn und Widerstandsgeist im ersten Akt, in liebevoller Weichheit im zweiten und dritten Akt. Ihr zur Seite steht der nicht minder souveräne Stephen Gould als Tristan mit phänomenalen Kraftreserven.
Katharina Wagners düstere, aber sehr pointierte Inszenierung im Gerüst-Bühnenbild des ersten Akts von Philipp Schlössmann und Matthias Lippert, das eine Art Treppenlabyrinth darstellt, lässt den Liebenden keine Chance. In der klaustrophobischen Szenerie des Anfangs, die sich im zweiten Akt in einen noch düstereren Albtraum aus Eisengittern und schwarzen Wänden verwandelt, gibt es keine Hoffnung. Mehr und mehr verengt sich ihr Handlungsspielraum - bis sie sich selbst Schlingen um den Hals legen.
Allein, zum gemeinsamen Fluchtselbstmord kommt es natürlich nicht - sonst gäbe es keinen dritten Akt. Das Brutale der Eisengefängnisse findet seine Entsprechung in der Grausamkeit von König Marke, den man noch kaum je so brutal erlebt hat. René Pape singt ihn mit durchschlagendem Bass geradezu erschreckend gut. Am Ende verwehrt Katharina Wagner Isolde bekanntlich den Liebestod. Marke zieht sie wie eine Beute von der Bühne. Dafür musste die Festspielleiterin auch in diesem Jahr wieder jede Menge erboste Buhs einstecken - alle anderen wurden lautstark mit Ovationen gefeiert. Neben den genannten vor allem das Diener-Paar Christa Mayer als Brangäne und Iaian Paterson als Kurwenal.
Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Regie: Katharina Wagner
Tristan: Stephen Gould
Marke: René Pape
Isolde: Petra Lang
Kurwenal: Iain Paterson
Brangäne: Christa Mayer
Der Opernführer für Eilige - "Tristan und Isolde" [Video]
Sendung: Allegro, 27. Juli 2017, 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK