Lohengrin im Overall – als Held der Arbeit, mitten in der surrealen Bildwelt der industriellen Moderne. So sah es aus auf der Bühne bei der Premiere von Wagners "Lohengrin" auf dem Grünen Hügel. Mit großen Namen wie Piotr Beczala, Anja Harteros, Waltraud Meier starteten die Bayreuther Festspiele – musikalisch hoch inspiriert, doch szenisch eher lauwarm. Eine Kritik.
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Im Trafohäuschen steigt die Temperatur. Die Hochspannungsdrähte glühen, die riesigen Isolatoren laufen heiß. In der bildgewaltigen Bühnenausstattung von Maler-Star Neo Rauch ist das Brautgemach ein orangeroter Hotspot in einem Meer von kaltem Blau. Düstere Wolken ballen sich dramatisch am gigantischen Rundhorizont. Blau sind auch die Kostüme. Wobei sich die Zeiten surreal überlagern. Umspannwerk und Strommasten erzählen von der entfesselten Energie der industriellen Moderne. Die Kostüme wirken dagegen wie ein verrutschter Rembrandt: Holländer aus dem 17. Jahrhundert bevölkern das Bühnenrund, als wären sie von Delfter Kacheln heruntergepurzelt. Durch die Luft schwirren können sie auch, schließlich tragen viele von ihnen Insektenflügel. Nur Lohengrin ist fremd in dieser altniederländischen Mottenwelt, er erinnert in seinem Overall eher an einen Helden der Arbeit, wie er im Sozialistischen Realismus gern gezeigt wurde: eine Art Zauberingenieur, bewaffnet mit riesigem Silberblitz.
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Die Bilder von Neo Rauch zeigen oft mutige Männer, die große Maschinen steuern und technische Kräfte entfesseln, und verfremden sie zugleich: mit schiefen Perspektiven, Collagen und Brüchen. Als Metaphern-Reservoire geben Rauchs Bilder durchaus was her: Lohengrin, der gescheiterte Charismatiker, als dekonstruierter Held der Arbeit; die Elektrizität als gefährliche Kraftquelle – warum nicht, da hätte man doch was draus machen können. Wenn man denn vor starken Bildern auch starkes Theater gespielt hätte. Leider setzt Regisseur Yuval Sharon auf statische Chormassen, gemessenes Schreiten und hausbackene Gesten. Ein Hauch der 80er liegt in der Bühnenluft und legt sich wie Mehltau auf die Inszenierung. Die Brautjungfern schreiten minutenlang artig nach vorn und werfen Blüten, paarweise, fad und symmetrisch wie zu Wolfgang Wagners Zeiten. Wenn es gefährlich wird, hebt der Chor kollektiv die Hände – oh weh, oh weh. Und während sich abgründige Dialoge zwischen Ortrud und Elsa abspielen, sieht man kaum was im Halbdunkel – von einer Personenführung, die auch in hellerem Licht wenig zeigen würde von dem, was die Figuren antreibt. Immerhin feiert ganz am Schluss noch das grasgrüne DDR-Ampelmännchen sein längst fälliges Bayreuth-Debüt. Damit sorgt es zumindest für einen weiteren Farbkontrast in einer apart ausgestatteten, aber szenisch und inhaltlich enttäuschenden Regiearbeit.
Während die Energie auf der Bühne im Trafohäuschen stecken bleibt, jagt Musikdirektor Christian Thielemann Hochspannungs-Blitze durchs Festspielhaus. Er lockt und lenkt, treibt und dehnt, spinnt unendliche Linien, legt aufregende Details frei und entfesselt explosive Triebkräfte. Was da so lustvoll, impulsiv und inspiriert aus dem Augenblick heraus gestaltet wird, ist zugleich technisch bewundernswert sicher umgesetzt: kalkulierte Rauschzustände, präzise Zauberei. Die Sänger werden nie zugedeckt, und das brillant musizierende Festspiel-Orchester folgt Thielemann mit hörbarer Spielfreude.
Anja Harteros ist eine großartige Elsa, immer noch, bleibt aber unter ihren Möglichkeiten. Das ist minutiös durchgestaltet und blitzsauber intoniert – aber der jugendliche Glanz dieser Stimme will an diesem Abend einfach nicht so betörend leuchten, wie man das sonst von ihr kennt. Trotzdem – Weltklasse erreicht Harteros auch an schwächeren Tagen.
Etwas gebangt hatte ich vor Waltraud Meiers Ortrud. Zum letzten Mal singt diese großartige Wagner-Sängerin die Rolle, zum letzten Mal auch in Bayreuth nach 18 Jahren Pause. Zu schade wäre es gewesen, wenn dieses Abschieds-Comeback die schönen Erinnerungen überlagert hätte. Doch Waltraud Meier ist nicht nur eine leidenschaftliche, sondern auch ungewöhnlich kluge Sängerin, die genau weiß, wie sie ihre Kräfte einteilen muss. Und wie intakt ist diese immer noch leuchtende Stimme! Dass am Schluss ein, zwei Spitzentöne verrutschen – geschenkt. Vor dieser großen Darstellerin darf man sich dankbar verneigen.
Ein Energiebündel ist Thomasz Konieczny als Telramund – ein Power-Bösewicht, manchmal leicht überzeichnet. Fantastisch dagegen Georg Zeppenfeld als König Heinrich. Auch Einspringer Piotr Beczala feiert einen Triumph – und versöhnt Gegensätze. Seine Stimme verbindet auf einzigartige Weise Leichtigkeit mit Kraft. Sein Tenor strahlt hell – und klingt doch körperhaft, warm und natürlich. Und seine Phrasierung kombiniert italienische Kantabilität mit einem phantastisch textverständlichen Deutsch. Beczalas Kraftreserven sind nicht unerschöpflich, aber wie menschlich und berührend gestaltet er das Scheitern dieses strahlenden Ritters! Jubel für Sänger und Dirigent, überraschend wenige Buhs für die Regie.
Richard Wagner - "Lohengrin"
Bayreuther Festspiele
Premiere: 25. Juli 2018
Georg Zeppenfeld - König Heinrich
Piotr Beczala - Lohengrin
Anja Harteros - Elsa
Tomasz Konieczny - Telramund
Waltraud Meier - Ortrud
Egils Silins - Heerrufer
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Yuval Sharon - Inszenierung
Neo Rauch / Rosa Loy - Bühne und Kostüm
Reinhard Traub - Licht
Musikalische Leitung - Christian Thielemann
Sendung: "Allegro" am 26. Juli 2018 ab 6:05 Uhr in BR-KLASSIK