Den Großteil seiner "Meistersinger" verlegt Barrie Kosky in den detailgetreu nachgebildeten Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse. Und da begeistert unseren Kritiker ein Michael Volle, der mit seiner sängerischen und spielerischen Meisterleistung in die Bayreuther Festspielgeschichte eingehen wird. Am 28. Juli gab es die Wiederaufnahme der Neuinszenierung von 2017.
Da sitzt Hans Sachs nun einsam an einem Tisch im Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse und beklagt den deutschen Wahn: Michael Volle sinniert als Alter Ego Richard Wagners, wie es in seinem schönen Nürnberg zur Massenschlägerei kommen konnte. Dabei hatte doch alles so lustig angefangen in Barrie Koskys Bayreuther „Meistersinger“-Inszenierung. Wieder gibt es zum Vorspiel Slapstick vom Feinsten: In der Villa Wahnfried tummeln sich Richard und Cosima, Liszt und der arme Hermann Levi, der jüdische Vorzeigedirigent in Bayreuth, samt Wagners Hunden und Wagner-Doubles. Und die historischen Gestalten entpuppen sich bald als grandios besetzte Meistersinger-Gilde, bei Kosky eine ziemlich primitive Bagage. Pralles Theater ist das, virtuos choreographiert, mit der Tendenz zur Klamotte. Und Philippe Jordan trifft dazu am Pult des Festspielorchesters genau den federnd leichten Konversationston, der hier gefragt ist.
Werkstatt Bayreuth: Den zweiten Aufzug hat Kosky bei der Wiederaufnahme dezent umgestaltet, um den Zeitsprung von 1875 zu 1945 plausibler zu machen. Statt Picknick auf grünem Kunstrasen gibt’s jetzt gestapeltes Mobiliar aus der Villa Wahnfried, die Zimmerpalme wird zum Fliederbusch. Drumherum der historische Nürnberger Gerichtssaal, den Rebecca Ringst originalgetreu nachgebaut hat. Der bleibt übrigens Staffage – Kosky nutzt die geschichtsträchtige Bildmetapher auf der Festwiese nur zu harmlosem Mummenschanz in opulenten Renaissance-Kostümen. Seine Verweise auf Wagners Antisemitismus kommen nicht ohne Klischees von Juden-Karikaturen der Nazis aus und wirken wie Fremdkörper in einer handwerklich brillant durchgearbeiteten Inszenierung.
Was wären die Bayreuther Festspiele ohne ihren von Eberhard Friedrich einstudierten prachtvollen Chor! Das Festspielorchester überrascht mit nie gehörten kammermusikalischen Details, am besten gelingt Philippe Jordan der dritte Aufzug: viel Lyrik, wenig Pomp. Über allem und allen aber steht der Sachs des Michael Volle wie ein Fels in der Brandung, er trägt den Abend mit nie nachlassender Intensität. Ein Sänger in der Rolle seines Lebens, im Vollbesitz seiner stimmlichen Möglichkeiten. Wann hat man in dieser Monsterpartie je solche Darstellungskraft, solche Wortprägnanz, solche Tonschönheit und solche Reserven bis zur Schlussansprache auf leerer Bühne erlebt – eine Meisterleistung, die in die Bayreuther Festspielgeschichte eingehen wird!
Richard Wagner - "Meistersinger von Nürnberg"
Bayreuther Festspiele
Wiederaufnahme: 28. Juli 2018
Hans Sachs - Michael Volle
Walther von Stolzing - Klaus Florian Vogt
Sixtus Beckmesser - Johannes Martin Kränzle
Veit Pogner - Günther Groissböck
Eva - Emily Magee
David - Daniel Behle
und andere
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele
Leitung: Philippe Jordan
Einen Live-Mitschnitt sendet BR-KLASSIK am 28. August ab 18:05 Uhr.
Sendung: "Allegro" am 30. Juli 2018 ab 6:05 Uhr in BR-KLASSIK