Nun steht es fest: Auch dieses Jahr wird die Internationale Jazzwoche Burghausen ausfallen. Nach 2020 gibt es das renommierte Festival in der südostbayerischen Stadt an der Salzach auch 2021 nicht. 2019 hatte die Jazzwoche 50-jähriges Bestehen gefeiert. Danach: Corona-Stillstand. Doch nicht allein Corona ist an dem zweiten Ausfall schuld, findet Roland Spiegel hier in seinem Kommentar.
Rekorde über Rekorde. Im Jubiläums-Jahr 2019 zählte man 10.800 Besucher bei der Internationalen Jazzwoche Burghausen – über tausend mehr als im Vorjahr. 750.000 Euro betrug 2019 der Gesamt-Etat des Festivals, 150.000 Euro davon kamen von der Stadt Burghausen, der Rest waren Zuschüsse unter anderem vom Freistaat Bayern und Einnahmen durch Eintrittskarten-Verkauf. Stars wie der soulige Jazz- und Popsänger Jamie Cullum und Gitarrenvirtuose Al di Meola gehörten zum Jubiläumsprogramm, aber auch ein Projekt mit dem kubanischen Pianisten Ramon Valle und einem rund 60-köpfigen Orchester. Man liebt Superlative und Masse in der 19.000-Einwohner-Stadt, die seit 1970 das inzwischen international bekannteste kontinuierlich stattfindende Jazzfestival bieten kann.
Nun ist die Kontinuität abgerissen. Schon zum zweiten Mal kann das Festival aufgrund der Corona-Krise nicht stattfinden. Das ist eine Katastrophe für die Stadt Burghausen und ihre Gastronomie- und Hotelbetriebe, denen die Einnahmen wegfallen, aber auch für viele Fans – und natürlich für viele Musikerinnen und Musiker, die nun nicht bei diesem bedeutenden Forum auftreten können.
So schwierig ihre Aufgabe in Zeiten wie diesen ist: Einen Anteil an der Misere haben auch die Burghauser Festival-Verantwortlichen selbst. Auch dieses Jahr standen zumindest auf der Wunschliste für Burghausen Groß-Ensembles wie das aus der Serie "Babylon Berlin" bekannte Moka Efti Orchestra mit 14 Personen oder die Techno-Marching-Band Meute mit elf Personen. Außerdem hoffte man ursprünglich darauf, Stars aus der Planung von 2020 wie den nigerianisch-britischen Singer-Songwriter Ola Onabulé zu verpflichten.
Die Infrastruktur für ein flexibleres Reagieren auf die Corona-Krise war also da. Nur: Wie geht man mit solch einer Situation um? Man muss nicht unbedingt das große Jazzfest Berlin zum Vorbild nehmen, das im November 2020 komplett als Streaming-Festival stattfand. Auch kleinere Varianten wären denkbar. Das ziemlich kleine "Birdland Radio Jazz Festival" in Neuburg an der Donau ging im Oktober und November 2020 zunächst mit einer geringen Anzahl von Besuchern und schließlich ohne Publikum über die Bühne – mit den Mikrophonen des Bayerischen Rundfunks, so dass einige der Konzerte live im Radio übertragen und andere in unterschiedlichen Radiosendungen zeitversetzt gesendet wurden. Diese kleine Neuburger Lösung (in einer Stadt, die unwesentlich größer ist als Burghausen und sicher nicht reicher) hatte zwei entscheidende Vorteile: Musikerinnen und Musiker konnten Konzerte geben, für die sie normal bezahlt wurden, und Musikfans konnten die Aufnahmen zumindest im Radio genießen. Künstler konnten wenigstens hier also weiter ihre Arbeit tun, und ihre Klänge wurden medial weiterverbreitet, erreichten Adressaten.
Konzerte ohne Publikum, aber mit Mikrophonen und/oder Kameras der öffentlich-rechtlichen Sender sind ein wichtiges Signal in die von der Corona-Krise besonders gebeutelte Musik-Szene: ein Signal, das aussagt, dass die Gesellschaft die Kultur braucht und will. Solch ein Signal hätte die Interessengemeinschaft Jazz auch in Burghausen mit dem Festival 2021 setzen können. Ein Festival, gerade in Zeiten wie diesen, kann mehr sein als nur eine stimmungsvolle Massenveranstaltung mit groovender Musik möglichst vieler Menschen auf einer Bühne. Es kann ein Forum der Solidarität mit Künstlern sein, ein Labor mit neuen musikalischen Versuchs-Anordnungen, ein klingender Appell an die Politik. Es kann Künstlern in schlimmer Not helfen. Und es kann der Gesellschaft Kultur bieten in Zeiten, in denen die Gesellschaft sich mehr denn je nach Kultur sehnt. Das alles außer Acht zu lassen, bedeutet allzu sehr in einer vielleicht ohnehin überkommenen Vorstellung vom Wesen eines Festivals gefangen zu sein. Nicht Rekorde, nicht Masse sind in solchen Zeiten wichtig, sondern Kunst und der Wille, sie zu unterstützen.
Sendung: "Leporello" am 29. April 2021 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK